Der Zufall will ist, daß derzeit zwei französische Ausstellungsmacher fur zwei international angesehene Projekte zuständig sind: Der Pariser Museumsdirektor Jean Clair verantwortet die eben in Venedig eröffnete Biennale, und die Pariser Kunsthallen-Kuratorin Catherine David plant die Kasseler documenta 10 (1997).
Daß eine Kunstschau wie die Biennale zurückblickt, wenn sie 100 wird, ist naheliegend. Daß sie sich in der konservativen Ausrichtung verliert, hat aber wesentlich mit der Programmatik von Jean Clair zu tun. Insofern hat Catherine David erst einmal leichtes Spiel. Bringt sie nämlich eine Bestandsaufnahme der heutigen internationalen Kunst zustande, wird die allemal brisanter sein als das, was die Biennale in ihrem übergreifenden Teil vorzeigen kann.
Die Verlegenheit, in die sich die Biennale selbst gebracht hat, dokumentiert die Preisvergabe. Die Auszeichnung des ägyptischen Pavillons ist eher eine kulturpolitisch Geste des guten Willens. Und daß ein Künstler wie der Amerikaner R. B. Kitaj, dessen Werke nur in der Rückschau zu sehen sind, als bester Maler geehrt wurde, ist kurios. Allein die Auszeichnung des Video-Künstlers Gary Hill (1992 auch auf der documenta) weist nach vorn. Doch auch da wären andere diskussionswürdig gewesen.
Es ist nicht so, daß die Kunst der Gegenwart nichts zu bieten hätte. In zahlreichen nationalen Pavillons ist viel Kraft zu spüren. Andererseits relativiert sich ein mit Macht präsentierter nationaler Beitrag – wie die Phantom-Porträts von Thomas Ruff – rasch, wenn an anderer Stelle der Kasseler Hochschulabsolvent Gerhard Lang mit Tierporträts fasziniert, in die Menschengesichter projiziert sind, oder wenn im Pavillon von Venezuela beklemmende Farbportäts von augen- und mundlosen Menschen gezeigt werden.
Gute Karten also für die documenta? Man muß sehen, denn 1997 ist auch Biennale-Jahr.
HNA 13. 6. 1995