Gegen die Schönheit und für das Verstehen

Eine der stetig wiederkehrenden Fragen im Vorfeld einer documenta laütet: Wird es auch wieder Skulpturen, Objekte und Installationen außerhalb der Ausstellungsgebäude geben? Mit Blick auf die am 8. Juni beginnende Documenta 11 lautet die Antwort eindeutig: ja. Zu den Künstlern, die bevorzugt im Außenraum arbeiten, gehört der aus Bern stammende Thomas Hirschhorn (Jahrgang 1957), der in Paris lebt. Er versteht seine Projekte oft als Eingriffe, als Interventionen.

Mit Vorliebe geht Hirschhorn dorthin, wo man die Kunst normalerweise nicht vermutet – an die Unorte der Stadt. Für sein Amsterdamer Monument zu Ehren des Philosophen Spinoza suchte er sich 1999 eine Straße im Rotlicht-Viertel aus; und an der Ausstellung „Skulptur-Projekte“ in Münster beteiligte er sich 1997 mit einem containerartigen Pavillon, den er an einer Sammelstelle für Altpapier und Altglas platzierte.

Diese Ortswahl hatte ihren Sinn. Natürlich ging es Hirschhorn einerseits darum, bewusst gegen die Regeln des Kunstbetriebs zu verstoßen. Zum anderen ergab sich ein direkter Bezug zwischen seinem Werk und der Umgebung: Seinen Pavillon nannte er eine „Skulptur-Sortier-Station“ – in Anlehnung an den Müll, der dort gesammelt und sortiert wird. Außerdem verwendet er gern die Materialien, die im Alltag rasch zu Abfall werden – Plastik- und Aluminiumfolien. Mit ihnen überzieht und umhüllt er seine Objekte schützt sie und nimmt ihnen damit zugleich jeden Anspruch auf Schönheit. Thomas Hirschhorns Objekte und Installationen sind gegen das traditionelle Schönheits-Verständnis gerichtet. Sie stellen erst einmal alles infrage – auch den Skulptur-Begriff.

In den Kojen seines Pavillons konfrontierte er von den Nazis als „entartete Kunst“ verfemte Skulpturen (etwa von Otto Freundlich) mit Objekten aus der Alltagswelt, die von ihren Besitzern ebenfalls wie Skulpturen aufgestellt und behandelt werden: Mercedes-Stern und VW-Zeichen oder Pokale aus der Fußballwelt. Unversehens verknüpfte Hirschhorn in seiner Arbeit künstlerische Aspekte mit den Fragen nach den gesellschaftlichen Strukturen und Symbolen.

Dabei zieht sich Hirschhorn oft auf eine scheinbar kindliche, spielerische Ebene zurück. Als er 1999 zur Biennale in Venedig eingeladen war, schuf er in einer Riesenhalle des Arsenale aus zusammengeschobenen Tischen eine schier endlose Plattform, auf der Modelle von internationalen Passagiermaschinen standen. Die Flugzeuge waren als Maschinen jener Länder gekennzeichnet, in denen zu der Zeit kriegerische Konflikte herrschten und aus denen Menschen flohen. Hirschhorn hatte damit die Kehrseite der Globalisierung thematisiert. Die Flugzeuge als die Symbole von Freiheit und weltweiter Vernetzung waren auf dem „World-Airport“ zu lahm gelegten Riesen geworden.

Die Biennale-Arbeit, die aus mehreren Ebenen und vor allem aus vielen Wandtafeln mit Text-Dokmnenten bestand, versuchte die Widersprüchlichkeit von internationaler Verbindung der Wirtschaftskräfte und nationaler Ausweglosigkeit sichtbar zu machen. Dabei gab sich die Installation an allen Punkten den Anschein des Vorläufigen. Auch dies gehört zum Grundverständnis Hirschhoms, dass er für seine Arbeiten nicht den Ewigkeitsanspruch erhebt, sondern gerade das Provisorische zum Prinzip macht.

Thomas Hirschhorn reicht es nicht, seine Arbeit abzuliefern. Er möchte sein Publikum finden und die Menschen ansprechen. In seiner Sonderveröffentlicliung von „point d‘ironie“ zur Documenta 11, in der er sein Amsterdamer Spinoza-Projekt vorstellte, kritisierte er die gleichzeitig von anderen Kunstlern gezeigten Straßen-Projekte als schwach und unverbindlich. Nachdrücklich bekannte er sich dazu, neben den Interessierten und Informierten auch die ansprechen zu wollen, die weder Interesse noch Vorkenntnisse mitbringen.

In Kassel ist Hirschhorn seit gut einem Jahr immer wieder unterwegs, um für die Documenta 11 sein „Bataille Monument“ vorzubereiten. Der Ort, an dem seine Arbeit zu sehen sein wird, bleibt vorerst noch ein Geheimnis

HNA 10. 2. 2002

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