Der Künstler als Spiegel des Amderen

Der Kasseler Kunsthochschul-Professor Urs Lüthi (Jahrgang 1947) vertritt im kommenden Jahr die Schweiz auf der Biennale in Venedig. Mit dem Künstler sprach Dirk Schwarze.

Frage: Sie leben in München und Kassel. Im nächsten Jahr sollen Sie die Schweiz auf der Biennale in Venedig vertreten. Fühlen Sie sich als Schweizer Künstler?

Urs Lüthi (lachend): Ja, schon. Aber das ist nicht so wahnsinnig wichtig. Allerdings fühle ich mich jetzt eher als Schweizer, als es früher der Fall war.

Zeichnen sich denn Schweizer Künstler durch etwas Spezifisches aus?

Lüthi: Einige meinen, das wäre eine besondere Art von Humor, ein Hang zur Ironie, die Lust am Widersprüchlichen. Aber Ironie haben auch schon andere in die Kunst eingebracht

Im Jahre 1972 schufen Sie das Bild „I’ll be your mirror“, auf dem Sie als Mann-Frau zu sehen sind. Ist das eine Schlüsselarbeit für Ihr Schaffen? Der Künstler als Spiegel des Anderen?

Lüthi: Das wäre zu geradlinig gedacht. Es gibt mehrere Arbeiten in dieser Richtung. Auch das Bild „Lüthi weint für Sie“ aus den 70er-Jahren gehört dazu. Aber ich sehe diese Bilder nicht nur als Spiegel des Anderen. Mir geht es um das Sichtbarmachen des Ambivalenten in der Welt, zum Beispiel um die Anteile des Femininen und Maskulinen im Menschen. Diese Ambivalenz ist ein durchgängiger Grundton.

Das Ambivalente verkörpert in hohem Maße ihre Skulptur „Beauty 1“ von 1996, für die Sie Ihre Porträtbüste aus Glas gestaltet haben und in der der blaue Glaskopf der Sphinx aus dem Aiginatempel steckt….

Lüthi: … da kommt auch die Künstlichkeit ins Spiel, das Nichtreale der Schönheit.

Ihre frühen Arbeiten wirken oft traurig und melancholisch, die neueren sind farbiger, bunter, dekorativer. Haben Sie für sich die Schönheit neu entdeckt?

Lüthi: Nein, im Gegenteil. Das Schöne ist für mich fast trauriger als früher. Die älteren Arbeiten enthalten ein Bekenntnis zum Schönen. Darin liegen ja die Ironie und die Boshaftigkeit, dass die Schönheit jetzt etwas Unerträgliches bekommt. Es ist die Welt der „Placebos und Surrogate“, wie der Titel meiner neuesten Werkreihe heißt.

Nichts könne den subjektiven Ausdruck und die Vielfalt der Stimmungen besser spiegeln als das eigene, sich stetig wandelnde Ich, haben Sie vor zehn Jahren anlässlich Ihrer Ausstellung im Kasseler Kunstverein gesagt. Sie benutzen Ihr eigenes Bild, um die Welt zu spiegeln. Wie geht der Künstler damit um, dass er sich immer wieder mit seinem Ich auseinandersetzt?

Lüthi: Die Welt kann man nur über sich selbst verstehen, also können wir nur von uns selbst ausgehen. Allerdings verschwindet das Ich in meinen Arbeiten immer mehr als individuelle Figur. Anfangs war das vielleicht noch der einzelne erkennbare Mensch. Aber davon habe ich mich entfernt. Die Porträtbüste und der daraus als Schattenriss entwickelte Kopf sind nicht mehr die individuellen Abbilder. Das sind Markenzeichen geworden.

Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor? Welche Strategie haben Sie?

Lüthi: Ach, ich habe keine besondere Methode. Ich bin kein Künstler, der morgens um acht im Atelier steht und seine Arbeit beginnt. Nehmen wir als Beispiel meinen Beitrag für die Biennale in Venedig. Ich bin sehr froh, dass ich das machen kann. Das hatte ich mir schon länger gewünscht. Ich war jetzt schon zwei Mal in Venedig und habe mir den Schweizer Pavillon genau angesehen. Gerade lasse ich ein Modell davon bauen. Nun gärt es in mir. Ich setze mich nicht unter Druck, eine Arbeit zu produzieren, sondern ganz langsam entstehen in meinem Kopf Vorstellungen und Gedanken. So mache ich erste Notizen und Skizzen.

Denken Sie daran, in Venedig eine Arbeit zu zeigen?

Lüthi: Nein, keine in sich geschlossene Arbeit. Ich hatte ja gerade eine Ausstellung im Lenbachhaus in München. Die war ein Ganzes und die ist noch sehr frisch. Auf ihr werde ich meine Venedig-Arbeit aufbauen. Ich werde mich auf die „Placebos und Surrogate“ beziehen, ganz bestimmte andere Werke werden hinzu kommen.

Nun entstehen Ihre Arbeiten aber nicht nur am Schreibtisch und im Atelier. Viele Fotos haben Sie von draußen mitgebracht. Gehen Sie da gezielt vor?

Lüthi: Wenn ich an bestimmten Dingen arbeite, bin ich sehr sensibilisiert, sehr aufmerksam und empfänglich. Dann kann es passieren, dass ich, wenn ich unterwegs bin, Situationen entdecke, die zu meiner Arbeit passen. Die halte ich mit der Kamera fest.

Seit 1994 lehren Sie an der Kunsthochschule in Kassel. Hat sich dadurch Ihr künstlerisches Arbeiten verändert?

Lüthi: Ich habe heute ein reflektierteres Verhältnis zu meiner eigenen Arbeit. Früher entwickelte sich vieles mehr intuitiv. Aber wenn ich mit Studenten über deren Projekte spreche, ihnen etwas klar mache und Beispiele suche, dann denke ich auch mehr über mein eigenes Werk nach.

HNA 1. 12. 2000

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