Der amerikanische Bildhauer Richard Serra hatte mit seinem Beitrag zur documenta 6 (1977), der Stahl-Skulptur Terminal, monatelange Diskussionen in Kassel ausgelöst. Noch länger und heftiger wurde gestritten, als die Skulptur für Bochum angekauft werden so1lte. Alle angestaute Aggression gegenüber Werken zeitgenössischer Kunst schien nun in dem Streit um die Serra-Arbeit ihr Ventil gefunden zu haben.
Doch welcher dieser Kritiker hatte sich schon ernsthaft mit der Arbeit befaßt? Wer hatte darauf geachtet, wie die Aufstellung der massiven Stahlplatten die Schwere des Materials überwand oder wie im Innern des Terminals sich zum Himmel hin ein klares Quadrat öffnete?
Richard Serra (Jahrgang 1939) ist in zahlreichen Arbeiten ähnliche Wege gegangen – etwa auch bei seinem documenta-Beitrag von 1972, Circuit:
In einem quadratischen Raum stießen aus den vier Ecken Stahiplatten wie Diagonalwände hervor und ließen in der Mitte nur einen schmalen Durchgang. Auch hier schien die Massivität des Stahls aufgehoben; und für denjenigen, der den Raum erkundete, ergaben sich ständig wechselnde Ein- und Ausblicke.
Serras Arbeiten wenden sich immer wieder der einfachen geometrischen Grundform zu, die sich für den Betrachter oft überraschend einstellt. Ebenso ausgeprägt ist sein Gefühl für Raumbezüge. Die Abmessungen seiner Skulpturen, ihre Standorte und Ausrichtungen sind oft aus den Maßen des Umraums entwickelt. Seine Beziehung zum Stahl als Arbeitsmaterial wurde bereits während seiner Studienzeit hergestellt, als er zur Sicherung seines Lebensunterhalts in Stahlwerken arbeitete.
Den Stahl sieht Serra durchaus als farbiges, lebendiges Material an: die anfangs leuchtend rostbraunen Platten verfärben sich im Laufe der Zeit ins Schwarzbraune.
Plastisches Gefühl und Farbempfinden verbinden sich in Serras Werk sehr oft. Während sich die Farbe bei den Skulpturen von selbst (vom Material gegeben) einstellt, ist die Plastizität in seinen Zeichnungen das Ergebnis eines intensiven, hartnäckigen Arbeitsprozesses. Seit mehr als zehn Jahren gestaltet er neben Skulpturen, denen Skizzen vorausgehen, Black Drawings (schwarze Zeichnungen). Auch hier ist es meist die Auseinandersetzung mit einer geometrischen Grundform, in der sich die Zeichnung entwickelt – Rechteck oder Quadrat; auch hier gehört die Irritation dazu, wenn ein Rechteck schräg auf die Grundfläche gesetzt wird oder eine Seite aus dem rechten Winkel läuft.
Diese Zeichnungen erzählen nichts, sie teilen sich lediglich mit als konzentrierte schwarze Flächen, die auf dem Papier oder der Leinwand eine ähnliche Massivität erreichen wie die Stahlplatten. Auch für die documenta 7 hat Serra (an Ort und Stelle) eine solche Zeichnung geschaffen: Nach einem Spezialrezept hat er sich aus Paraffin-Wachs und schwarzen Farb-Pigmenten Blöcke gegossen, die er, leicht erwärmt, auf der Fläche abreibt. Dieses allmähliche Einschwärzen des Zeichnungsgrundes, dieses Übereinandersetzen der verschiedenen Schichten, bis ein geschlossener, massiver Farbraum entstanden ist, gleicht einem Kraftakt. Unter Mühen wächst die Fläche zu und dringt in den Raum vor. Die klare geometrische Form macht sie körperhaft.
HNA 5. 6. 1982