Suche nach der einfachen Form

Man lernt von Kindesbeinen an, im Besonderen das Allgemeine zu sehen, für das einzelne Ding gleich den richtigen Begriff und die übergeordnete Kategorie zu finden, also zu abstrahieren und, wo das nicht geht, zumindest Vergleiche heranzuziehen. Die documenta 7 greift bewußt dieses Schubladendenken und Diskutieren in Stilbegriffen an, weil sonst Wesen und Eigenart des Kunstwerkes leicht übergangen werden.

Der in Düsseldorf lebende Bildhauer Reiner Ruthenbeck (Jahrgang 1937) geht von ganz ähnlichen Voraussetzungen aus, weil auch er in immer neuen Anläufen das Publikum dazu bringen will, Formen so zu sehen, als sähe man sie zum ersten Mal. Er rechnet sich zu den Künstlern, die gegen das kunstfeindliche Denken ansteuern, das stets von der Einzelform wegführt.

Ruthenbeck will nicht aufregen und nicht provozieren, er sucht die ruhige, geschlossene Lösung, um beim Betrachter seinerseits Ruhe zu erzeugen. Bei der documenta 5 (1972) hatte er für das Fridericianum ein großes, raumbeherrschendes Stoffobjekt geschaffen, das durch eine eingezogene Stange in seiner Dreiecksform stabilisiert wurde. Das Objekt sollte nicht über sich selbst hinausweisen, sondern als eine einfache Form erscheinen.

Das Einfache, das Elementare so zu gestalten, daß es sich selbst als Form, als Körper mitteilt, ist Ruthenbecks stets aufs Neue angestrebtes Ziel. Auch seine Beiträge für die documenta 7 sind aus diesem Denken entstanden: In einem Raum sieht man drei überproportional große, weiße Tische mit einem jeweils andersfarbigen und andersförmigen Volumenobjekt. Eine blaue Aluminiumkugel ist auf die Kante eines Tisches gesteckt; unter dem zweiten Tisch hängt, an sich auf der Platte kreuzenden Seilen, ein grüner Holzblock; und auf dem dritten Tisch wird durch ein Seil ein flaches rechteckiges, braunes Holzobjekt auf der Kante in leichter Schwebestellung gehalten.

Auch dies sind elementare Formen, ausgeführt in, wie Ruthenbeck meint, ebenso elementaren, körperhaften Farben. Die Farben sind hier nicht malerisch gemeint. Sie haben sich für den Künstler von selbst als Zuordnungsmerkmale ergeben – gegen die eigenen Geschmacksempfindungen, denn mit den Farben grün und braun habe er zuvor noch nie gearbeitet, ja, das Braun finde er gar nicht schön. Doch da es hier nicht um Design für das schönere Wohnen gehe, sondern um das Begreiflich-Machen von Formen, sei die Farbwahl genau richtig.

An der Dreier-Gruppe interessiert Ruthenbeck noch ein anderes gestalterisches Problem: drei verschiedene geometrische Formen werden in drei gegensätzlichen Positionen vorgeführt, die der Vorstellung zuwiderlaufen können – die blaue Kugel schwebt nicht, sondern steckt im Tisch, der grüne Block steht nicht oben, sondern hängt unten, und das braune kastenartige Objekt strebt nach oben statt nach unten.
Ruthenbecks plastische Arbeiten basieren meist auf zeichnerischen Entwürfen. In diesem Fall ging der Arbeit ein Styroper-Modell im Maßstab 1:1 voraus, mit dessen Hilfe die Proportionalität erkundet werden sollte. Während bei Zeichnungen die Handschrift des Künstlers wesentlich sei, könnten die Objekte gut von anderen ausgeführt werden. Hier sei allein das Konzept entscheidend, das über die Objekte hinaus verfügbar
bleibe.

HNA 12. 6. 1982

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