Wie geht es denn weiter?

Ats Arnold Bode 1977 zum letzten Mal einen documenta-Katalog mit einem Vorwort ausstattete, hielt er sich in seinen Ausführungen nur kurz bei dem Erreichten auf. Hauptsächlich schaute er in die Zukunft, dachte an die Aufgaben, die sich einer documenta 7 steIlen würden. „Wie geht es denn weiter?“ lautete eine seiner stereotypen Fragestellungen.

Arnold Bode starb genau einen Tag nach Ende der documenta 6.. Diese nun, die 7. documenta, ist die erste nach und ohne Bode. Wer seiner gedenkt und ihn ehren will, der übernimmt die Rolle des ungeduldigen Forderers und fragt:. Wie geht es denn weiter?“ Eigentlich steht es um die documenta und ihre Zukunft gut. Es gibt eine ständige Geschäftsführung, die für einen ordentlichen Haushaltsabschluß sorgt, es gibt das documenta-Archiv, das eines Tages zu einem Zentralarchiv für die zeitgenössische Kunst werden könnte, und es gibt vor allem die verbindliche Zusage des Oberbürgermeisters der Stadt, daß auch eine documenta 8 veranstaltet werde. Obwohl nach wie vor alle anreisenden Künstler, Ausstellungsmacher und Kritiker die umständliche Anreise ins zonenrandgeschädigte Kassel beklagen, ist der Provinz-Standort für diese unvergleichliche internationale Kunst-Ausstellung akzeptiert worden.

Gerade diese documenta des Jahres 1982 liefert gleich mehrere Belege dafür: Nie zuvor war das engste Planungs- und Macherteam so international besetzt (als Zuhörer bei Team-Gesprächen staunte man mitunter, wie die Erörterung vom Deutschen behende ins Englische überging und nebenbei Zweier-Unterredungen auf Italienisch oder Holländisch geführt wurden). Unerwartet groß war aber auch die Zahl der Künstler, die eigens für die documenta ein Projekt realisieren oder installieren wollten. Und schließlich ließ das erstaunlich große Vorausinteresse der Fachpresse an der documenta darauf schließen, daß diese Ausstellung als Institution anerkannt worden ist.

Dennoch gibt es keinen Anlaß zum Jubeln. Im Gegenteil, es muß Alarm geschlagen werden, weil die Zukunft der documenta aufs äußerste gefährdet ist. Und sollte es gelingen, im Laufe einer sich jetzt erhitzenden Diskussion die Gefahr abzuwenden, dann wäre das im Wesentlichen dem für die documenta 7 verantwortlichen Team mit zu verdanken, das sich über die eigene Aufgabenstellung hinaus für diese Ausstellung in Kassel stark machte.

Es geht um das Museum Fridericianum, das Stammhaus und Symbol der documenta geworden ist. Die meisten documenta-Besucher werden das Fridericianum erstmalig in einer dem ursprünglichen Entwurf sehr nahekommenden Gestalt erleben. Das Gebäude hat seine klaren, großzügigen und dabei hellen Räume zurückerhalten; und die von Walter Nikkels hineingesetzte Ausstellungsarchitektur aus weißen, gemauerten Wänden gliedert diese Räume, ohne sie anzutasten. So weit, so gut.

Für das documenta-Team ist dieser Ausbauzustand eine beinahe ideale Lösung. Hier könnte sich, so meinen die Leute um Rudi Fuchs, die aktuelle Kunst auf Dauer heimisch fühlen – welcher Gestalt sie auch immer wäre. Doch für das zuständige Staatshochbauamt ist das Gebäude bloß im Rohbauzustand. Und der soll nach Schluß der documenta behoben werden, denn das Fridericianum soll (nach einem Kompromiß- Entscheid) zur Hälfte technisches Museum und zur anderen Hälfte Ausstellungshalle mit wechselnden Bestimmungen werden. Während einer documenta sollten weite Teile des technischen Museums magaziniert
werden, so daß dann fünf Sechstel des Fridericianums für die documenta zur Verfügung stünden.

Sicher, auch ein technisches Museum braucht angemessenen Raum. Doch muß dies gerade zu Lasten und auf Kosten einer Ausstellung geschehen, die in der Welt ohne Vergleich ist? Sieht man nicht, wie torsohaft die documenta-Installation wirkt, wo sie nur Untermieter eines Museums ist – nämlich in der Neuen Galerie?
Noch erschreckender als der Gedanke, daß eines Tages nicht mehr das ganze Fridericianum der documenta zur Verfügung stehen könnte, sind die Endausbaupläne des Staatshochbauamtes. Da hat man ein perfektes Museum im Visier – mit marmorierten Steinen und Palisander, mit Kassettendecken und anderem Edel-Schnickschnack. Und das Schlimme ist: in diesen finanzarmen Zeiten sind offensichtlich die Gelder für einen solchen Luxusausbau da. Ist es vorstellbar, daß in solchen edel ausgestatteten Räumen noch Künstler direkt auf die Wand malen könnten und würden oder Lust hätten, Arbeiten aus dem Raum heraus zu entwickeln? Kaum.

Fuchs und Nikkels haben während ihrer vielmonatigen Vorbereitungszeit miterleben müssen, wie das Museum Fridericianum, je vollendeter es wurde, desto mehr von seiner Ursprünglichkeit verlor: Das schöne und großzügige zentrale Treppenhaus wurde abgetragen und durch zwei Treppenhäuser ersetzt, in denen man bei größerem Andrang leicht Platzangst bekommen kann. Die Türen wurden in ihrer Höhe nicht den Durchgängen angepaßt, sondern die Durchgänge auf die Normmaße der Türen verkleinert. An Maßempfinden mangelte es generell – ob es sich nun um Geländer, Fensterbänke oder Toilettenzugänge handelte. Wie aber würde der zweihundert Jahre alte Bau erst nach der endgültigen Fertigstellung aussehen?

Rudi Fuchs hat ein einfaches Rezept gegen die weiteren Baupläne: Nach Ende der documenta 7 werden im Museum Fridericianum die Arbeiten konzentriert, die für aufregend genug erachtet wurden und nicht zurück an Leihgeber müssen. So würde das Museum der 100 Tage zur Dauer-Einrichtung. Das Gebäude wäre Sinnvoll genutzt und Kassel um ein großartiges Museum bereichert.

Aber auch in der Stadt selbst ist man ins Nachdenken gekommen. Oberbürgermeister Eichel und Kulturdezernent Wurbs stellen den gültigen Fridericianum-Kompromiß zur Diskussion, da sie wissen, daß die documenta heute einen Stellenwert erreicht hat, der nur mit der Gemäldesammlung in Wilhelmshöhe vergleichbar ist. Sie favorisieren 1979 in Gang gekommene Überlegungen, den Teil des Fridericianums, der für das technische Museum vorgesehen ist, an die Neue Galerie zu übergeben, also statt technischer Apparate moderne Kunst hereinzuholen und so auch für das Publikum einen Zusammenhang zwischen längerfristiger (Kunstmuseum) und kurzfristiger Ausstellung (documenta) herzustellen. Das Gebäude der Neuen Galerie stünde dann den anderen Abteilungen der Staatlichen Kunstsammlungen zur Verfügung.
Wie die Entscheidung auch fällt, sie darf nicht gegen die documenta fallen. Schon der Verzicht auf eine neue Entscheidung wäre ein Votum gegen die documenta. Denn eines ist sicher, das Fuchs-Team wäre nicht angetreten, wäre das Fridericianum schon mit Palisander und Vitrinen überzogen worden.

HNA 18. 6. 1982

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