Die Sonne erschien wie bestellt und half, dem Kasseler Friedrichsplatz ein heiteres Gepräge zu geben. Zu der massiven, keilförmigen Skulptur aus nahezu 7000 Basaltsteinen (für die Baumpflanzaktion von Beuys) hatte Daniel Buren mit seiner farbigen Wimpelparade und der dazu aus Lautsprechern erklingenden klassischen Musik ein beschwingtes, fröhlich-feierliches Gegengewicht geschaffen. Die Zeit der documenta 7 hat begonnen. Heute noch hat nur die internationale Presse Zutritt zu den Ausstellungsorten, ab morgen ist die Kunst-Schau dann für 100 Tage generell geöffnet.
Die Verantwortlichen atmeten gestern Mittag auf: Von einigen wenigen Ecken abgesehen, war alles pünktlich fertig geworden. Und der Dialog der Künstler und Kunstwerke – ein wesentliches Ziel des documenta-Konzepts kam in Gang. Eine überraschende Geste wurde zum schlagenden Beweis: Mario Merz, der aus Ei- sen, Steinplatten, Glas und Buchenzweigen eine spiralförmige Tischskulptur gebaut hat, lud Wolfgang Laib (den Schöpfer flirrender Blüten-Teppiche) ein, ein Glas mit dem Blütenstaub von Buchen der Tischskulptur beizugeben.
Der erste flüchtige Eindruck, den die fertige Ausstellung vermittelt: vital, vielfältig und spannungsreich; eine Kunst-Schau voller Kontraste und keineswegs
so still und in sich gekehrt, wie oftmals vorausgesagt. Es gibt noch weitere Überraschungen. So sucht man vergeblich die vielfach (auch von uns) im Bild angekündigte Holzskulptur von Georg Baselitz; sie ist zwar fertig, doch fand der Künstler für die monumentale Arbeit keinen geeigneten Platz. Und: Marcel Broodthaers ist der einzige nicht mehr lebende Künstler, von dem eine Arbeit auf der documenta 7 gezeigt wird. Seine Raum-Inszenierung Die Schlacht von Waterloo mit dem fürstlichen Mobiliar und den Kanonen hat angesichts des Krieges um die Falkland-Inseln jedoch alles Museal-Spielerische verloren und ist zu einem Ort aktueller Beklemmung geworden.
HNA 18. 6. 1982