Eine vergoldete Säule, aufgestellt von, dem Kunst-Zeremonienmeister James Lee Byars in der Eingangshalle des Museums Fridericianum, ist zum Symbol der Kasseler documenta 7 erklärt worden. Wie Gold, der Stoff der Reinheit und Würde, innerhalb der Ausstellung zur Geltung kommt, erklärte gestern Johannes Gachnang (Bern) für das documenta-Team während der Eröffnungspressekonferenz.
Ein paar Schritte von der Gold-Säule entfernt sieht man sich einer ganzen Wand mit echter Vergoldung gegenüber. Jannis Kounellis, der Künstler-Poet aus Italien, läßt sie erstrahlen. Ein Garderobenständer mit Mantel und Hut davor vervollständigt die Szene und läßt die Luxus-Wand zu der Kulisse für eine selbst auszudenkende Geschichte werden.
Gold endlich auch bei der Pressekonferenz: Joseph Beuys, dessen Basaltstein-Skulptur für seine Baumpflanzaktion auf dem documenta-Gelände sowieso unübersehbar ist, zauberte die mit Diamanten besetzte Kopie der Goldkrone von Iwan dem Schrecklichen hervor und kündigte an, daß sie am 30. Juni in demokratisches Kapital umgeschmolzen werde.
Die heute beginnende documenta 7 als eine Schau der Edelkunst? Fast könnte man das meinen, wenn man alle Äußerungen von documenta-Leiter Rudi Fuchs und seinen Mitarbeitern, das Mysterium und die Feierlichkeit der Kunst betreffend, auf die Goldwaage legen wurde. Doch wie sagte Fuchs einleitend richtig: Was wir zu sagen haben, kann man sehen. Und das Sichtbare, die Ausstellung also, hat zwar auch ruhige und feierliche Zonen, ist aber insgesamt kraftvoll, spannungsreich und sogar aufregend. Es ist, wenn man das abgegriffene Wort übernehmen darf, eine schöne Ausstellung geworden.
Zu den großen Versprechen von Fuchs zählte, eine Ausstellung mit den Künstlern und nicht gegen sie zu machen. Doch in dem Augenblick, in dem man einerseits Kunstwerke unterschiedlicher Natur in den Dialog zueinander bringen will und in dem man andererseits in der Präsentation der Künstler Hierarchien bewußt in Kauf nimmt (und einigen wenigen doch geschlossene Kabinette zubilligt: Polke, Höckelmann und Ruthenbeck zum Beispiel), gibt es auch Reibungspunkte und Risse. Und dann fallen eben doch Entscheidungen gegen Künstler. Die Schweizerin Miriam Cahn zog die Konsequenzen und baute ihre Arbeiten ab. Sie hatte in der Orangerie einen WACH RAUM aus Zeichnungen geschaffen. Als sie eine Wand wieder freigeben sollte, kam es zum Eklat, wobei der Außenstehende schwerlich entscheiden kann, ob ihr zuvor tatsächlich der ganze Raum versprochen worden war oder sie sich der Wand bemächtigt hatte.
Das andere große Versprechen betraf die Inszenierung der Ausstellung, also die Art und Weise, in der Bilder und Objekte einander zugeordnet werden. (Wir werden später noch auf diesen zentralen Aspekt eingehen). Doch die erste Erfahrung zeigt, daß die gezielte Zuordnung und Konfrontation von Einzelwerken auf die Betrachtungsweise, die man als Besucher einnimmt, durchschlägt. Spontan erschließen sich einem Paar-Beziehungen: so etwa in zwei Räumen des Fridericianums zwischen den riesigen farbigen Fotowänden von Katharina Sieverding mit ihrer bedrohlich-bedrückenden Atmosphäre und den massiven aufgeschnittenen Steinblöcken von Ulrich Rückriem; oder zwischen der Tisch-Skulptur von Mario Merz, aus der Buchenzweig-Büschel kompakt und zart herausranken, und den erstaunlich vielfarbigen, mit den Fingern gemalten Bildern von Arnulf Rainer.
Die Zonen ausgesprochener Ruhe bleiben in der Minderzahl. Die wohl ausgeprägteste befindet sich in einem Flügel des 1. Stocks im Fridericianum: Dort gelangt man von den zeichenhaften Plastiken Reiner Ruthenbecks vorbei an Richard Serras schwarzer Zeichnung und Jan Dibbets Panoramen zu den stillen, direkt auf die Wand aufgetragenen Gips-Reliefs von David Rabinowitch und den strengen Bildtafeln von Robert Mangold. Dafür tummeln sich dann im Obergeschoß des Fridericianums und in der Neuen Galerie jene Maler, die als die jungen und wilden Künstler in den letzten Monaten viel Aufhebens von sich gemacht haben.
Fuchsens These, daß die documenta 7 unter anderem zeigen werde, daß Maler wie Baselitz, Penck und Immendorff wegweisende Figuren für diese neue Malerei seien, belegt die Ausstellung auf Anhieb. Die Bilder von Baselitz und Penck vor allem strahlen Kraft und Klarheit aus und können (wie Pencks TTR) regelrecht bezaubern. Überraschend in den Schatten treten übrigens die Arbeiten von Lüpertz und Polke, zwei anderen Vater-Figuren der Jungen.
Das Museum Fridericianum ist eindeutiges documenta-Zentrum. Trotzdem ist der Ausstellungsteil in der Orangerie von besonderem Reiz, weil hier Fotokunst, Video- Arbeiten und Raum-Installationen eine ganz andere, eher spielerische und offensivere Atmosphäre entstehen lassen, Die Neue Galerie allerdings bleibt zwangsläufig ein Torso, da hier nur ein Teilbereich der documenta 7 eingeräumt ist. Die Installation der fünf schwarzen, fünf Meter hohen Figuren, die motorisch den Hammer schwingen (von Jonathan Borofsky), lassen aber hier eine ans Komische grenzende Situation entstehen.
Diese documenta erweist sich als ein wirklicher Panorama-Spiegel für das breite Spektrum aktueller Kunst. Die Offenheit, aber auch Frische der heutigen Szene wird sichtbar. Ebenso wird aber auch die Kontinuität einsichtig, aüs der sich heraus vieles entwickelt hat.
Allerdings fällt der Triumph der Europäer (gegenüber den Amerikanern) nicht so groß aus, wie verschiedentlich behauptet oder erwartet worden war. Die Leichtigkeit, Phantasie und spielerische Eleganz, mit der die italienischen Künstler (wenn man mal für einen Augenblick in diesen nationalen Kategorien denken darf) Bilder, Wände und Räume schaffen, erscheinen jedoch fast unerreichbar.
Die documenta 7 macht mit ihren reichen und vielartigen Beiträgen zur Malerei den schlechten Eindruck wett, den ihre Vorgängerin auf diesem Gebiet hinterlassen hatte. Der frische Aufwind für die Malerei in den letzten drei Jahren war dabei ein wichtiger Förderer. Trotzdem erdrückt die Malerei keineswegs die Objekte und Räume. Beim genaueren Hinsehen entdeckt man dann auch, daß es gar nicht der malerische Gestus ist, der die Ausstellung erobert hat, sondern das Bekenntnis zur Farbe, das auch fotografisch und plastisch
arbeitende Künstler übernommen haben.
Die klare und doch verhaltene Austellungsarchitektur von Walter Nikkels läßt den Besucher sich nicht im Raum verlieren, sondern zwingt ihm eine regeirechte Führung auf. In einigen wenigen Fällen, vor allem im Erdgeschoß des Museums Fridericianum, kommt es dabei aber zu allzu dichten (engen) Konfrontationen, so daß mindestens an einer Stelle sich das großformatige Bild von Jörg lmmendorff nicht recht entfalten kann. Insgesamt, aber ist eine gute Atmosphäre geschaffen, in der man dankbar die Arbeiten im wechselnden Licht des Täges betrachtet.
Fuchs – hat von der Anstrengung gesprochen, die er dem Ausstellungsbesucher abverlangt, aber auch vom Spaziergang. Die Anstrengung bleibt einem in der Tat nicht erspart, wenn man nicht nur die Ausstellungsstücke studieren, sondern auch die darin verwirklichten Haltungen aufspüren will. Zu einem Spaziergang, einem heiteren Spaziergang, kann der Rundgang trotzdem werden: Es gibt ständig wechselnde Ausblicke und keine Langeweile. Und da die Bilder und Objekte der meisten Künstler an verschiedenen Stellen präsentiert werden, läuft die Ausstellung nicht wie ein gradlinig abgedrehter Film ab, sondern als eine Szenenfolge mit Rückblenden und sich verändernden Wiederholungen. Hier kann man Kunst neu erleben.
HNA 19. 6. 1982