Die documenta 7 ist auf Erfolgskurs. Schon fällt es schwer, sich daran zu erinnern, daß noch im Frühjahr namhafte Kritiker dem Holländer Rudi Fuchs unterstellten, er trage möglicherweise mit seinem antitheoretischen Konzept zum Ende der documenta-Idee bei. Die 179 000 Besucher, die bis zur Halbzeit der 100-Tage-Kunstschau kamen, sprechen ebenso für die Ausstellung wie die 2300 Journalisten, die sich bislang bei der documenta registrieren ließen.
Natürlich weiß man, daß eine Abstimmung mit den Füßen im Bereich der Kunst nicht unbedingt der angemessene Maßstab ist. Trotzdem darf nicht übersehen werden, daß das Maß der Annahme einer Ausstellung durch das Publikum von den verantwortlichen politischen Gremien doch als Entscheidungshilfe benutzt wird und daß die Macher selbst einen Besucheransturm als die Bestätigung ihres Konzepts verbuchen.
Fuchs, der künstlerische Leiter der documenta 7, war stets hin- und hergerissen zwischen dem Gedanken an eine stille Ausstellung, in der der einzelne Besucher mit dem Kunstwerk allein ist, und an einen weltweit beachteten Publikumsmagneten. Längst überwiegt das Interesse an einem Publikumserfolg, da unerwartete Ausgaben für Transport, Strom und Installation kurz vor Beginn der Ausstellung zur Überziehung des 6,9-Millionen- Etats um 500 000 Mark führten. Nun sollen die Besucher durch den Erwerb der Eintrittskarten helfen, das Loch zu stopfen. Und documenta-Geschäftsführer Wolfgang Ziegler ist zuversichtlich, daß dies gelingt, da der Etatansatz nur von 250 000 Besuchern ausgeht, jetzt aber ähnlich wie 1977 um 350 000 erwartet werden können.
Zumindest in diesem Jahr hat die documenta den heimlichen Vergleichswettkampf mit der Biennale in Venedig für sich entschieden. Das schwache Profil der venezianischen Zentralschau hat ebenso dazu beigetragen wie das documenta-Prinzip, jüngste Kunst mit solchen Werken in einen Zusammenhang zu stellen, die von langfristiger Aktualität sind. Die nationalen wie die internationalen Kritiken treffen sich, bei allen Reibungen an Einzelpunkten, in dem Urteil, die documenta habe ihren Ruf als wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst behauptet.
Enttäuscht sind die documenta-Verantwortlichen lediglich in einem Punkt: Überall müssen Schilder mit der Aufschrift Bitte nicht berühren oder Absperrseile angebracht werden, weil ganze Besucherscharen gerade die verletzlichen Bilder und Objekte anfassen, einer Nagelprobe unterziehen oder durch Fingerdruck die Stärke des Materials erproben wollen. Unverständnis, Hilflosigkeit und Aggressionstrieb haben auch des öfteren dazu geführt, daß neben oder in Wandbilder hineingezeichnet wurde. Die mutwilligen Totalzerstörungen des Spiegel-Pavillons von Dan Graham im Freigelände ist aber zum Glück ein Einzelfall geblieben.
HNA 11. 8. 1982