Steine, Stühle, Häuser

Zü der an der documenta 7 geäußeen Kritik gehört auch immer wieder die vorwurfsvolle Frage, warum denn die Karisaue im Vorfeld derOrangerie nicht stärker einbezogen worden sei. Nun, die documenta 7 hat für die Kunst zum Rückzug ins Museum geblasen. Daß überhaupt Arbeiten von mehr als einem Dutzend Künstler außerhalb der Gebäude gezeigt weiden, war ursprünglich gar nicht eingeplant.

Während die plastischen Arbeiten im Umraum des Museums Fridericianum eher werbend und offensiv ansprechend wirken – wie Luciano Fabros Baldachin, Daniel Burens Wimpelparade oder auch der Keil aus Basaltblöcken von Beuys, verschließen sich (mit Ausnahme von Claes Oldenburgs „Spitzhacke“) die Skulpturen im Bereich von Orangerie und Aue. Das gilt für Maria Nordmans Steinquadrate, die in der Aue versteckt sind, ünd für Carl Andres 300 Stahlplatten auf der Aue-Hauptachse.

Die stillste und verschlossenste Arbeit ist aber Per Kirkebys „Skulptur“ aus Backsteinen direkt neben der Orangerie. Diese massiv gebaute Skulptur nimmt in Teilen die Form eines Hauses an, ohne ein Haus zu werden; sie läßt weder Ein- noch Durchblick zu; sie löst Fragen aus, gibt aber keine Antworten.

In der Orangerie und im Fridericianum sieht man von dem Dänen Kirkeby Gemälde, die gestisch, kraftvoll und spontan wirken. Die Skulptur verrät nichts davon. Sie ist gotiseh aufragend, streng und klar; sie könnte das Modell einer neuen Architektur sein, könnte aber auch Grabmal sein, will aber nur als gebaute Form fesseln.

Während Kirkebys „Skulptur“ kaum Zufluchtsort für Träume ist, birgt der über dem Bachlauf schwebende Iglu des Italieners Mario Merz sehr wohl die Utopien eines der Natur zugewandten Lebens. Dieser Iglu scheint leicht und zerbrechlich zu sein. Nach dem Bau der Rätsel einer der Phantasien.

Die Auseinandersetzung mit architektonischen Problemen haben übrigens mehrere Künstler gesucht. Den radikalsten Weg ist dabei der Amerikaner Michael Asher gegangen, der mit Hilfe von Zwischenwänden den Grundriß des Krefelder Museums Haus Esters in die Orangerie übertrug. Vito Acconci und Dan Graham suchten die mehr spielerische Beschäftigung mit der Hausform, rechneten allerdings nicht mit der zerstörerischen Kraft im Freigelände.

Wenn von der documenta 7 die Rede ist, dann gilt oft das erste Wort den Beuys-Steinen. Darüber wird häufig vergessen, daß es nicht nur Beuys ist, der mit dem (kaum bearbeiteten) Naturstein arbeitet: Anatol, Anselmo, Kounellis, Long, Merz und Penone sind da zu nennen. Longs Steinkreis, auf der documenta 5 eine meditative Ruhezone, hat sich jetzt zum konzentrischen Strudel entwickelt; und bei dem Spiraltisch von Mario Merz befinden sich Stahl und Stein sowie Ast und Glas im Zu- und Gegeneinander.

Ähnlich verschlossen wie Kirkebys „Skulptur“ wirken Ulrich Rückriems aufgeschnittene und wieder zusammengefügte Steinblöcke. Der doppelte Keil im Fridericianum entfaltet dabei die Faszination, die ein archilsches Tor ausübt.

Entsprechend zum Material Stein oder zum Thema Architektur kann man zahlreiche Verbindungslinien durch die documenta ziehen. Etwa vom Riesenwerkzeug „Spitzhacke“ zu den Riesenarbeitern des Jonathan Borofsky. Oder von dem goldenen Meditationsstuhl des James Lee Byars über den Beichtstuhl von Richard Artschwager und den inszenierten Stuhl-Bildern von Joan Jonas und Giulio Paolini bis zum im Dreieck bzw. Kreis schwebenden Stahl-Stuhl von Bruce Nauman. Oder von den als kompakter Block aufgestellten Holzbalken eines Carl Andre zu der riesigen liegenden Figur aus ebenso rohen Holzbalken von Markus Raetz.

Daneben gibt es unvergleichliche plastische Arbeiten, die von poetischer Heiterkeit sind: Barry Flanagans akrobatische Bronze-Hasen, Roland Reise‘ Plexiglaskästen und Gerrit van Bakels aufwendig gebaute Traum-Maschinen (wie die „Vorläufige Regenbogenmaschine“).

HNA 11. 9. 1982

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