Auf einem Holzpodest hoch oben über dem Riesenkeil aus Basaltsäulen auf dem Kasseler Friedrichsplatz wurde gestern eine Wandlung vollzogen: Joseph Beuys ließ die originalgetreue Kopie der Zarenkrone von Iwan dem Schrecklichen einschmelzen, nachdem er eigenhändig und dabei höchst routiniert und konzentriert die Perlen und Diamanten aus der Krone entfernt und die Goldschale in Teile zerlegt hatte. Das auf 1100 Grad erhitzte Gold wurde dann an Ort und Stelle in die Form eines Hasen und einer kleinen Sonnenkugel gegossen. Beide Formen zusammen sieht Beuys als ein Symbol des Friedens. Nach Ablauf der Schmelzaktion wurden auch gleich Aufkleber und T-Shirts mit diesem Symbol und dem dreisprachigen Aufdruck des Wortes Friede unter die einigen hundert Zuschauer verteilt.
Die Umformung des Machtsymbols, wie Beuys es sieht, geriet selbst zur Machtdemonstration: Ein Künstler, dessen Namen auch die kennen, die nie freiwillig in ein Museum gehen würden, demonstriert, was er bewegen kann. Wie er anfangs diejenigen Lügen gestraft hatte, die meinten, er wurde seine über drei Millionen Mark teure Baumpflanzaktion gar nicht auf den Weg bringen können, so ließ er sich jetzt weder von den Protesten der Juweliere gegen die Zerstörung der Krone noch durch eine sehr populäre Unterschriftensammlung der Pink Panters zum gleichen Thema noch durch Flugblätter oder fliegende Eier beeindrucken.
Die ganze Aktion war als zelebraler Akt, als eine Kunst-Messe gedacht: Weithin sichtbar wollte Beuys auf dem Podest über den zur Baumpflanzaktion gehörenden
Steinen den Schmelzakt vollziehen, und nicht zufällig benutzte er dabei den Begriff der Wandlung, der sowohl in der christlichen Kirche als auch in der mittelalterlichen Alchemie von zentraler Bedeutung ist. Doch von diesem Akt teilte sich den Neugierigen rundherum wenig mit, weil Beuys und seine Helfer mitsamt dem Schmelztiegel auf dem Podest von einer drängenden Mauer von Journalisten und Fotografen umringt waren.
Auch die anschließende Prozession ins Museum Fridericianum, in dem über Nacht in einem Durchgangsbogen ein Safe mit Panzerglas für das Transformationsobjekt geschaffen worden war, geriet eher zur Flucht als zum gemessenen Marsch. Aus Sicherheitsgründen sollen Goldhase und -sonne sowie die Edelsteine im Einweckglas nur von 10 bis 16 Uhr in der Ausstellung zu sehen sein; anschließend sollen sie täglich in den Banktresor. Wer für die Versicherung aufkommt, war allerdings bis gestern unklar.
Damit also wäre das goldene Entree der documenta 7 (im Fridericianum) perfekt: Vornean die Goldsäule von James Lee Byars, rechts die Goldwand von Jannis Kounnellis und links dann Goldhase und -sonne von Beuys. Dank der Spende des Düsseldorfer Gastronomen Mattner, der vor 22 Jahren die Kronen-Kopie durch den Nobel-Juwelier René Kern hatte anfertigen lassen, ist Beuys nun auch mit einem Objekt in die Ausstellung hineingedrungen.
Im Safe warten Hase, Sonne, Edelsteine und der Schmelzrest nicht nur auf interessierte Besucher, sondern auch auf einen hochkarätigen Käufer, der die Scheine hinblättert, die Beuys für den Fortgang seiner Baumpflanzaktion braucht.
Es ist keinesfalls das erste Mal, daß Beuys für eine Arbeit die Form eines Hasen ausgewählt hat. Der Hase als erdverbundene Kreatur, als Fruchtbarkeitssymbol und Sinnbild des Gehetzten, als Bindeglied zwischen Europa und Asien und als Inbegriff der Bewegung taucht in den Beuysschen Zeichnungen, Multiples und Aktionen der letzten 20 Jahre immer wieder auf. Beuys bekennt sich so sehr zu diesem Lebenssymbol, daß er sich selbst als Hasen bezeichnet hat. Vielleicht gelingt es ihm auf diesem Weg, den Hasen mit der Sonne zu einem ähnlichen Friedenssymbol werden zu lassen, wie es in den 50er Jahren Picassos Taube wurde.
HNA 1. 7. 1982