Heute geht die documenta 7 zu Ende. Rund 380 000 Besucher werden bis zum Abend die drei Ausstellungshäuser durchwandert haben. Ein Rekord – also auch ein Erfolg? Mammutprojekte wie diese internationale Ausstellung in Kassel müssen mit dem Widerspruch leben, daß die Höhe des Publikumszuspruchs einerseits nichts über die Qualität aussagen muß, andererseits aber von der Öffentlichkeit und den politischen Gremien als ein Maßstab für die Subventionsbereitschaft genommen wird. Insofern bedeuten die 380 000 sehr wohl einen Erfolg:
Der große Besucherstrom hat dazu beigetragen, daß die Stadt und das Land Hessen sich jetzt schon verpflichtet haben, 1987 eine documenta 8 zu ermöglichen.
Es geht also weiter in Kassel. Und doch weiß zur Stunde niemand so recht, wie die documenta-Zukunft aussieht, da das Museum Fridericianum, das Herz dieser Kunstschau, im Innern ausgebaut und dann zur einen Hälfte zwischen den documenten als technisches Museum genutzt werden soll. Die Weichen für diesen Nutzungs-Kompromiß wurden zu einer Zeit gestellt, als die documenta noch nicht die Weitgeltung von heute hatte, noch nicht Institution war. Deshalb kann man nur hoffen, daß, bevor unkorrigierbare Bau-Entscheidungen getroffen werden, dieser Kompromiß neu überdacht wird.
Gerade diese documenta, die soviel Wert auf die richtige Inszenierung, auf die bestmögliche Platzierung von Kunst gelegt hat, führte drastisch vor Augen, welches atmosphärische Gefälle zwischen Fridericianum und Orangerie sowie Neuer Galerie besteht. Ohne das ganze, in seiner klaren klassizistischen Form unangetastete Fridericianum würde die documenta zur Provinzveranstaltung.
Daß das Gefälle bei der documenta 7 so überdeutlich wurde, war mit in dem Konzept des Holländers Rudi Fuchs begründet. Ganz bewußt hatte er die Haupträume im Erdgeschoß und 1. Stock des Fridericianums den, wie er es sieht, Chefs und Helden der zeitgenössischen Kunst eingeräumt: Kounellis, Baselitz, Rückriem, Lüpertz, Polke, Immendorff, Penck, Merz, Gilbert & George… Dieses klare Bekenntnis zu Vorlieben und subjektiven Qualitätsurteilen und dieser eindeutige Aufbau einer Hierarchie machten die Ausstellung so sympathisch – auch gerade dort, wo man der behaupteten Meinung überhaupt nicht folgen konnte.
Vor allem die Künstler haben nach zwei thematisch gegliederten documenten die Abkehr vom Schubladendenken nach stilistischen oder inhaltichen Merkmalen als einen Akt der Befreiung empfunden. Fuchs sieht darin mehr als nur ein Ausstellungsrezept; für ihn ist das die angemessene Reaktion auf eine Kunst, die sich jenseits aller Stilbegriffe bewege.
Der Verzicht auf eine analysierende Gliederung der documenta 7 hatte im Vorfeld zu heftigen Angriffen und den schwärzesten Prophezeiungen geführt. Dies alles ist vergessen, wenn auch bei aller überwiegend positiven Fachkritik massive Schelte einzelner nicht ausblieb. Den einen schien die Auswahl der Künstler viel zu eng und unrepräsentativ, den anderen waren einzelne Künstler zu breit vertreten (wie etwa Gilbert & George) und für die dritten schließlich ging das Konzept der Hängung (Stichwort: Dialog der Kunstwerke) nicht auf.
In der Tat schienen die beiden vorigen documenten noch die ganze Breite der Kunstszene zu spiegeln. Doch genau darin lag ihre Täuschung. Meiner Meinung nach verstärkt die konzentrierte Auswahl dieser documenta den Eindruck, daß es sich hier nur um einen Ausschnitt handelt. Wer die Ausstellung gesehen hat, wird daran erinnert, daß es noch andere Kunst gibt. Die documenta 7 fordert also weit stärker als ihre breit gefächerte Vorgängerin, in der jeder etwas für sich finden konnte, zur Stellungnahme heraus. Und manchmal sogar auf heitere Art unterhaltend. Der Dialog der Kunstwerke und Künstler ist jedoch nur in den ersten beiden Etagen des Fridericianums gelungen; dann zerfließt die strenge Ordnung. Allerdings wurde jetzt bei einer Podiumsdiskussion über die documenta zu Recht angemerkt, daß das Verteilen gleichartiger Bilder und Objekte von einem Künstler die Auseinandersetzung keineswegs immer intensiviere, sondern häufig auf den Wiedererkennungseffekt verkürze.
Rudi Fuchs und seinem Team ist noch ein anderes gelungen: Künstler, die schon seit Jahren und Jahrzehnten zur internationalen Kunstszene gehören, so einzubeziehen, daß ihre Beiträge nicht historisch wirken. Die gewählten Zitate – wie im Falle von Richard Paul Lohse und Emilio Vedova – sind aber nicht frei von Zufälligkeiten. Indirekt hat die documenta 7 den richtungsweisenden Charakter der von Harald Szeemann geleiteten documenta 5 (1972) bestätigt. Die Helden von heute waren zu einem wesentlichen Teil schon damals als prägende Künstler dabei. Kennzeichnend ist, daß die breite Bewegung der jungen Malerei angesichts der Helden (wie Baselitz, Penck, Immendorff, Kirkeby und Richter) viel von ihrer Wildheit verlieren. Insofern hat die documenta 7 auf dem Felde der aktuellen Malerei sehr wohl zur Klärung und Beruhigung beigetragen.
Rückzug ins Museum, Feierlichkeit für die Kunst und Rückkehr zur Wurde waren Schlagworte für diese documenta. Sie klangen konservativer, als sie gemeint waren. Dennoch paßte genau zu diesem Bild, daß ins Zentrum der Ausstellung drei Beiträge rückten, die zum Golde und zur Andacht drängen: die Säule von James Lee Byars, die Wand mit Garderobenständer von Jannis Kounellis und der aus der Zarenkronen-Kopie herausgeschmolzene Hase von Joseph Beuys.
Die Goldstücke mochten vieles überstrahlen, doch völlig unpolitisch, wie ihr oft unterstellt, war die documente 7 nun auch wieder nicht. Klaus Steack, Hans Haacke, Jörg Immendorff und die täglichen Begleitdiskussionen der Freien Internationalen Universität (FIU) im Schatten der documenta sorgten dafür. Vermißt wurde von weiten Teilen des Publikums die in der Landschaft zu erwandernde Freiplastik, wie sie die documenta 6 (1977) geboten hatte. Vermißt wurden aber auch Handreichungen zum Verständnis der Konzeption und der Kunstwerke. Hier gab es zwar eine ganze Reihe von Publikationen, doch sie kamen alle von außen. Der Katalog ist zwar schön und begehrt, doch für den Laien keine Hilfe.
HNA 28. 9. 1982