Gerangel um die Startpositionen

Wer soll die nächste documenta (1987) inhaltlich verantworten? Über diese Frage sollen am 25. und 26. Februar rund 35 Ausstellungsleiter, Kunstsammler und Kritiker in Kassel diskutieren, um eine Personal-Empfehlung für den Aufsichtsrat der documenta zu formulieren. Die Einschaltung einer Findungskommission, so ist der allgemeine Eindruck, hatte sich im Vorfeld der documenta 7 bewährt.

Obwohl die Kommission überhaupt noch nicht getagt hat, werden an der Kunstbörse Namen schon so gehandelt, als wäre die Berufung im vollen Gange. Immer wieder ins Rennen geschickt wird dabei Harald Szeemann, der mit der documenta 5 (1972) die für die Kunst der 70er und 80er Jahre wohl wichtigste und beste documenta inszeniert hat und der jetzt in Zürich gerade mit seiner Ausstellung über Gesamtkunstwerke (die ursprünglich in die documenta 7 integriert werden sollte) von sich reden macht. Aber auch andere vertraute Namen sind auf diesen Spekulationslisten dabei: Wulf Herzogenrath, der Direktor des Kölner Kunstvereins, der bei der d6 die Video-Abteilung verantwortet hatte und der bei der Suche nach einem Leiter für die d7 in der engeren Wahl gestanden hatte; Kasper König, der Organisator der Kölner „Westkunst“-Ausstellung und ebenfalls Kandidat für die d7-Leitung, wird gleichfalls genannt; schließlich wird noch Johannes Gachnang als aussichtsreicher Kandidat angesehen – er leitet die Kunsthalle Bern und gehörte zum Leitungsteam der documenta 7 unter Rudi Fuchs.

Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Dabei drehen sich diese Spekulationen weniger um die Frage, ob dem einen die Bewältigung dieses Jobs eher zugetraut wurde als einem anderen. Im Vordergrund steht vielmehr die Überlegung, daß die Personalentscheidung auch schon eine weitgehende Festlegung des inhaltlichen Rahmens der nächsten documenta zur Folge hätte. Szeemann traute man eine Neugruppierung künstlerischer Ausdrucksweisen zu, von Herzogen-
rath erwartete man wieder eine Öffnung zu den neueren künstlerischen Medien, Gachnang wird unterstellt, daß er in etwa die documenta 7 fortschreiben wurde, und König traut man auch eine thematische Aufarbeitung zu.

Eine reine Kunstschau oder eine Themen-documenta, ein neuer Triumphzug der Malerei oder eine Rückkehr zur Vielfalt? Weil genau solche Fragen am 25. und 26. Februar mit zur Diskussion stehen, gibt es ihm Vorfeld dieser Beratung ein Gerangel um die besten Startpositionen. Obwohl die Liste der geladenen Experten nicht veröffentlicht wurde, hat sich herumgeschwiegen, welche Personen (und somit Positionen) gehört werden sollen und welche nicht.

Beliebter Umschlagplatz für entsprechende Gerüchte und Proteste ist der Informationsdienst „art aktuell“ des Kölner Kunstjournalisten Willi Bongard. Jüngst machte Bongard seinen Dienst zum Sprachrohr eines Protestschreis von Manfred Schneckenburger, dem Leiter der documenta 6: „Diese Findungskommission steuert unverfroren eine Prolongierung der affirmativen d7 an… Noch nie repräsentierte ein documenta-Gremium so wenig den in Deutschland versammelten Sachverstand.“ Und dann folgen Namen, die Schnekkenburgers Meinung nach fehlen. So unverständlich und falsch der Vorwurf des d6-Leiters einerseits ist, so sehr recht hat er, wenn er meint, daß einige der (für die aktuelle Kunst) wichtigsten deutschen Ausstellungsleiter nicht nach Kassel gebeten wurden. Peter Beye (Stuttgart), Carl Haenlein (Hannover), Dieter Honisch (Berlin), Karl Ruhrberg (Köln) und Armin Zweite (München) gehörten wahrhaftig in ein solches Gremium.

Bongard ergänzte das Kandidaten-Puzzle für die d8-Leitung übrigens um eine weitere Variante. Er meinte, eine Frau sollte mal ans Kasseler Steuer und benannte gleich Diane Waldman (Guggenheim Museum, New York) oder Katharina Schmidt (Kunsthalle Baden-Baden).

HNA 12. 2. 1983

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