Das Ziel, noch vor der Sommerpause einen Leiter der documenta 8 (1987) zu berufen, hat der Aufsichtsrat dieser Weltkunstausstellung zwar nicht ganz erreicht, doch er ist ihm sehr nahe gekommen. Und der Holländer Edy de Wilde ist wohl nicht der Mann, der sich in den jetzt zu führenden Gesprächen so sehr mit anderen Mitarbeiter- Kandidaten überwirft, daß es nicht zu seiner Berufung käme. Man wird davon ausgehen ktinnen, daß nach dem 40jährigen (1982) Holländer Rudi Fuchs 1987 sein dann 68jähriger Landsmann de Wilde die documenta leiten wird.
Für de Wilde zahlte es sich aus, nicht zum Kandidaten-Verhör nach Kassel gekommen zu sein. Auf diese Weise konnte er sich als der abgeklärte, über den Dingen schwebende documenta-Chef empfehlen. Daß er für sich selbst nicht großartig zu werben braucht, ist einsehbar: Der aus Nijmegen stammende Ausstellungsmacher, der am 3. Dezember nächsten Jahres 65 Jahre alt und damit pensionsreif wird, kann souverän die langjährige Leitung des bedeutenden Amsterdamer Stedelijk Museums als Visitenkarte vorweisen. de Wildes Nominierung enthält eine Absage an Risiko und Experiment. Hier wurde kein Abenteuer eingegangen, keine große Vision beschworen, sondern es wurde auf Erfahrung und Qualität gesetzt.
Nun scheint die Position de Wildes nicht so stark zu sein wie die seines Vorgängers Fuchs. Vor vier Jahren war Fuchs allein berufen worden; die Benennung seiner Mitarbeiter war seine eigene Sache. Jetzt aber soll de Wilde als erster unter gleichen einem Leitungsteam vorstehen, das er in den kommenden zehn Wochen zusammenstellen soll. Was auf den ersten Blick wie eine Machtbeschneidung wirkt, erweist sich letztlich als eine bloß kosmetische Operation. Denn: Auch de Wilde bleibt gegenüber dem Aufsichtsrat allein verantwortlich; er kann das Team selbst bilden; und auch die Empfehlung von Findungskommission und Aufsichtsrat, Gespräche darüber mit den anderen documenta-Mitbewerbern (Celant, Herzogenrath, König und Szeemann) zu führen, ist, eben nur eine Bitte und keine Bindung mit einer Ausschließlichkeitsklausel.
Es scheint so, als sei die Nennung dieser Namen mehr ein Trostpflaster für die abgewiesenen Kandidaten als eine ernsthafte Verpflichtung. Und es würde nicht überraschen, wenn am Ende der Gespräche in de Wildes Team-Vorschlag höchstens einer (oder keiner) dieser Namen wiederzufinden wäre. Die Einbindung de Wildes in das neukonstruierte Leitungsgremium führt nicht zur Einschnürung, sondern kommt offensichtlich ganz den strukturellen Vorstellungen des Holländers entgegen.
Die Beauftragung de Wildes ist sicher für viele überraschend, nicht nur weil dieser Museumsmann eine Generation älter ist als seine Mitbewerber. Für diejenigen, die nur andeutungsweise Einblick hatten in die Zusammensetzung der Findungskommission, war der Überraschungseffekt allerdings weit geringer. Die Namensliste verriet nämlich deutlich die Handschrift von Rudi Fuchs, der aus seiner Vorliebe für einen documenta-Leiter de Wilde nie einen Hehl machte. Schließlich könnte die Rechnung aufgehen, daß in Kassel dc Wilde Nachfolger von Fuchs wird und in Amsterdam Fuchs auf de Wilde folgt.
Was aber, wenn de Wilde noch vor seiner Berufung den Auftrag zurückgeben müßte oder würde? Dann müßte die Findungskommission neu beraten. Eine Alternative gibt es derzeit nicht, auch wenn es manchem lieb und teuer wäre, wenn Harald Szeemann eine solche Alternative wäre. Seine Karten scheinen derzeit ausgereizt zu sein.
HNA 17. 6. 1983