Harald Szeemann 5. Kandidat

Wenige Tage vor der zweiten und wohl entscheidenden Sitzung jener Experten-Kommission, die den künstlerischen Leiter der documenta 8 (1987) vorschlagen soll, ist das Kandidatenrennen um eine entscheidende Nuance spannender geworden: Harald Szeemann, der Macher der mittlerweile legendären documenta 5 (1972) und Gestalter vielbeachteter Ausstellungen (,‚Der Hang zum Gesamtkunstwerk“), hat seine Kandidatur angemeldet. Er wird in der nachsten Woche mit einem Konzept-Entwurf nach Kassel kommen und als fünfter Bewerber antreten. Die anderen vier Kandidaten sind Germano Celant, Wulf Herzogenrath, Kasper König und Edy de Wilde.

Auch im Vorfeld der beiden vorigen documenten war Szeemann jeweils als ernsthafter Kandidat genannt worden. Das rührt daher, daß es derzeit in Westeuropa neben ihm kaum einen anderen Ausstellungsmacher gibt, der ein so starkes Gespür für Kunst hat und der dabei in der Lage ist, so zielsicher kulturelle und künstlerische Zusammenhänge aufzuzeigen:

Seine Ausstellungsprojekte sind ihrerseits Gesamtkunstwerke. Das wird zwar von einigen Künstlern mit Argwohn betrachtet, doch insgesamt haben die Künstler großes Vertrauen in Szeemanns Umgang mit ihren Werken – wie jüngst noch James Lee Byars bei seiner Kasseler Aktion versicherte. In seinen Vorüberlegungen zur documenta 8 hatte Germano Celant eine Gesamtschau der Kreativität in allen Künsten gefordert und dabei zwei Ausstellungsleiter genannt, denen er dies zutraute – Harald Szeemann und Kasper König.

In der Tat stellt sich, wenn man von der documenta den großen Wurf und keine beliebig summierbare Abteilungsschau erwartet, am ehesten die Alternative Szeemann oder König. Der Kölner König, der zusammen mit dem Kritiker Laszlo Glozer das Konzept erarbeiten wollte, hatte sich mit der Ausstellung „Westkunst“ international profiliert. Spitzte sich in der Findungskommission die Diskussion auf König und Szeemann zu, wäre dies für die Zukunft der documenta gewiß kein Nachteil.

Szeemann wie König sind übrigens rigoros in der Forderung, das ganze Museum Fridericianum als Hauptstandort für die documenta zu erhalten. Da kennen sie keine Kompromisse. Und es ist bedauerlich, daß auch jetzt in der Endrunde der Kandidatenauswahl noch nicht sicher ist, ob das ungeteilte Fridericianum 1987 bereitstehen wird. In diesem Zusammenhang wird berichtet, der Rückzug der Kandidatur von Armin Zweite (München) sei unter anderem darauf zurückzuführen, daß von interessierter Kasseler Seite versucht worden sei, ihn darauf zu verpflichten, in Koexistenz mit dem technischen Museum im Fridericianum eine documenta zu ermög1ichen.

9. 6. 1983

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