documenta braucht neuen Leiter

Zweieinhalb Jahre vor ihrem geplanten Beginn ist die docunienta 8 ohne künstlerischen Leiter: Der Niederländer Edy de Wilde (65) und der Schweizer Harald Szeemann (50) haben ihr Vorhaben, die documenta des Jahres 1987 gemeinsam und gleichberechtigt vorzubereiten und zu leiten, aufgegeben. Daraufhin hat gestern der documenta-Aufsichtsrat seinen Beschluß vom Sommer 1983 äufgehoben, der de Wilde ermächtigte, ein Leitungsteam zu bilden. Eis zum
15. Januar sollen die beiden Museumsdirektoren Wolfgang Beeh (Darmstadt) und Ulrich Schmidt (Kassel) sowie Kassels Oberbürgermeister Eichel als Vorsitzender des Aufsichtsrates einen neuen Vorschlag unterbreiten.

Vor der Presse zeigte sich Eichel enttäuscht darüber, daß de Wilde und Szeemann ein Jahr gebraucht hätten, um festzustellen, daß sie das von ihnen selbst vorgeschlagene Konzept einer gemeinsamen Leitung nicht praktizieren könnten. Als Grund dafür hatten sie genannt, sie seien eben doch gewohnt, ihre Entscheidungen allein zu treffen. Beide haben nach Eichel betont, weder ihre persönliche Freundschaft untereinander noch ihre Übereinstimmung in inhaltlich-künstlerischen Fragen wären von dieser Entscheidung berührt worden.

Edy de Wilde, der in diesem. Monat die Leitung des Amsterdamer Stedelijk-Museums abgibt, hat sich allerdings bereiterklärt, die documenta-Leitung in alleiniger Verantwortung zu übernehmen. Doch der Aufsichtsrat wollte offensichtlich auf dieses Angebot nicht eingehen, zumal die Findungskommission im Sommer 1983 ihr Votum für de Wilde nur unter der Bedingung gegeben hatte, daß er in ein Team eingebunden wird.

Harald Szeemann hingegen erklärte gegenüber Eichel, daß er für die Leitung der documenta 8 nicht zur Verfügung stehe. Auf Szeemann, der 1972 die vieldiskutierte und mittlerweile hochgeachtete documenta 5 inszenierte, hatte der Aufsichtsrat allem Anschein nach gesetzt. Und es schien auch Anzeichen für eine Bereitschaft Szeemanns zu geben. Doch in einem Telefongespräch, das Eichel gestern mit Szeemann führte, sagte der Schweizer kategorisch ab.

Nun müssen nach Eichel alle Namen diskutiert werden, die seinerzeit von der Findungskommission ins Gespräch gebracht wurden. Neben de Wilde und Szeemann sind das Germano Celant, Wulf Herzogenrath, Kasper König und Armin Zweite. Eichel: „Denkbar ist im Moment alles.“ Kassels Oberbürgermeister glaubt, dass, wenn Mitte Januar ein neuer künstlerischer Leiter beauftragt werden kann, der zur Verfügung stehende Vorbereitungszeitraum (bis Juni 1987) ausreichend ist. An eine Verschiebung denkt er derzeit nicht. Sicher ist allerdings für ihn, daß es nur einen Verantwortlichen geben wird.

Kommentar

Gelitten

Das Dilemma ist gleich doppelt da: Der Fahrplan für die documenta 8 gerät durch die Absage des Führungs-Duos unter großen Druck, und der Aufsichtsrat muß genau das tun, was er mit Hilfe einer Findungskommission, umgehen wollte – nämlich selbst einen documenta-Leiter aussuchen.

Da birgt die Botschaft, die Freundschaft von de Wilde und Szeemann habe nicht gelitten, keinen Trost. Gerade weil die beiden sich so gut kennen, hätten diese unterschiedlichen Temperamente sich nicht freiwillig unter den Zwang einer partnerschaftlichen Lösung begeben dürfen. Gelitten hat auf diese Weise die documenta. Und die Skeptiker hatten wieder einmal recht.

Daß de Wildes Vorschlag, de Wilde allein zu berufen, nicht befolgt wurde, hat nicht nur darin seinen Grund darin, daß die Findungskommission ihn nur im Team haben wollte. Seine betont k!assisch-museale Sichtweise, die sich jetzt auch in seiner Abschiedsausstellung „La grande Parade“ niederschlägt, empfiehlt ihn nicht gerade für ein Kunst-Abenteuer.

Visionäre Kraft hingegen würde man Szeemann zutrauen, Doch der Schweizer scheint sich in seinem eigenen Taktieren zwischen Hoffen, Hinhalten und Absagen verfangen zu haben. Sein hoch gehandelter Kurs ist stark gefallen.

Wer aber bleibt? Gewiß sind Kasper Königs Werte seit „von hier aus“ gestiegen. Oder wäre der Münchner Armin Zweite doch wieder ins Gespräch zu bringen? Oder muß die Kandidatenliste gar erweitert werden – etwa um Namen wie den des bisherigen Hamburger Kunstvereins-Leiters Uwe M. Schneede? Das Feld der großen Macher ist klein. Und die Zeit ist äußerst knapp.

HNA 20. 12. 1984

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