documenta mit Inhalt gefordert

Nach dem Scheitern des Duos Edy de Wilde / Harald Szeemann bei dem Versuch, die documenta 8 (1987) in Kassel vorzubereiten, muß möglichst schnell ein neuer künstlerischer Leiter gefunden werden. Die Suche nach dem documenta-Macher öffnet allerdings auch wieder die Diskussion um die Leitungsform und die inhaltliche Struktur dieser internationalen Kunstausstellung. Die Frage also ist: Bleibt es bei dem Bekenntnis, keine thematische Kunstschau zu inszenieren, wie es Rudi Fuchs für die documenta 7 und Szeemann / de Wilde für die documenta 8 formuliert hatten, oder wird ein thematisches Konzept entwickelt?

Der documenta-Aulsichtsrat will Anfang nächster Woche, gestützt auf den Rat einer sechsköpfigen Expertenrunde, die Weichen stellen, aber ohne gleichzeitig bindende personelle Entscheidungen zu treffen. Nach dem Debakel mit der Tandem-Lösung ist allerdings Kassels Oberbürgermeister Eichel (als Aufsichtsrats-Vorsitzender) entschlossen, einem Kandidaten allein die Verantwortung zu übertragen.

Angesichts dieser erneut offenen Ausgangssituation wird die Diskussion durch ein Thesenpapier belebt, das Annemarie und Lucius Burckhardt sowie Siegmar Gassert, Birgit Knop und Martin Schmitz in Kassel vorgelegt haben. Als „Freunde der documenta Kassel ohne Aspirationen, darin eine Funktion zu übernehmen“, machen sie sich stark für eine Ausstellung, die Inhalte vermittelt und „nicht nur Anpreisungsformeln“.

Aus der Sicht der Autoren hat sich die von Rudi Fuchs geleitete documenta 7 auf dem „Niveau der ideellen Schummrigkeit“ bewegt: „Die von Rudi Fuchs angedeuteten Inhalte erwiesen sich als nicht vorhanden, seine spärliche Idee der Konfrontation funktionierte nur an wenigen Stellen der Ausstellung. Auch bei der Suche nach einem Leiter der documenta 8 haben sie noch keinen Kandidaten entdeckt, der „ein Thesenpapier zustande bringt, das über dem Niveau einer Vernissagen-Rede steht“.

Das Thesenpapier folgert daher: „Wenn sich als d8-Direktor kein Supermann findet, so muß die Aufgabe geteilt werden. Es muß ein – zweifellos künstlerisch orientierter – „Organisations-Direktor“ gefunden werden, der spezielle Aufgaben delegiert. Dadurch würde das Vorstellen wirklicher Inhalte garantiert und eine einzelne Fehlbesetzung insgesamt ausgeglichen. Als Vorbild sehen die Autoren die Struktur der documenta 5 (1972): Einleitung (Besucherschule) sowie sieben bis neun thematische Abteilungen.

Das Thesenpapier schlägt folgende Themenbereiche vor:

Sinngebung, Kunst als Wissenschaft (Forschung mit künstlerischen Mitteln);

der doppelte Code (Rückgriff auf alte Formen und Formeln in der Kunst);

Symbole des Alltags, lernen von den Subkulturen (Dialog zwischen Hochkultur und Subkultur);

der neue Regionalismus im globalen Dorf (die Bereicherung der Kunstszene durch lokale Ausdrucksmöglichkeiten);

Kunst ist Nachdenken über Kunst (Experimente mit den Rahmenbedingungen der Kunst);

Sichtbar machen – der kleinstmögliche Eingriff (Aktionen im Außenraum)
Geniale Dilettanten – was ist zwischen den Disziplinen?

die Vergangenheit historisch werden lassen (Künstler machen durch Installationen Epochen sichtbar).

Für die Präsentation der neuesten Kunstmarkt-Tendenzen empfiehlt das Papier das als Modell, was auf der Kölner „Westkunst“ Notlösung war: Galeristen richten eine Kunstbörse ein, so däß das merkantile Gesicht gar nicht erst verschleiert werden könne.

HNA 9. 1. 1985

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