Wem wird die künstlerische Leitung der documenta 8 angetragen? Wider alle guten Vorsätze muß sich nach dem Scheitern von de Wilde und Szeemann der documenta-Aufsichtsrat mit dieser Frage zu einem Zeitpunkt auseinandersetzen, zu dem die Planungsarbeiten längst laufen sollten. Die Rückkehr zum Punkt Null mitten in der Vorbereitungsphase ist für dieses Gremium allerdings keine neue Erfahrung. Die 30jährige Geschichte der documenta ist reich an Zerwürfnissen.
Der Aufsichtsrat will bei dieser erneuten Suche jedoch nicht ohne Expertenrat handeln: Aus dem Kreis der über 40 Mitglieder starken Findungskommission, die vor zwei Jahren die ersten Empfehlungen aussprach, wurden für Montag sechs Museumsleiter, Professoren und Kritiker nach Kassel eingeladen, dem Aufsichtsrat zu einem Votum zu verhelfen. Es wird unterstellt, daß in diesem Beirat niemand ist, der selbst Ambitionen hat, die documenta 8 zu leiten (dieser Interessenskonflikt belastete die Arbeit der Findungskommission).
Damit ist jedoch nicht die vorurteilslose und selbstlose Empfehlung garantiert: Da seit Jahren immer die gleichen Namen gehandelt werden, besteht ein enges Geflecht aus Vorlieben, Abneigungen und Abhängigkeiten zwischen den möglichen Kandidaten und denjenigen, die über sie befinden sollen. Die einen haben sich durch eindeutige Kritik festgelegt, andere spekulieren vielleicht auf eine Mitarbeit im documenta-Team.
Zu wünschen ist ein klares Votum im Sinne der documenta. Das heißt: Es muß nicht nur ein guter, sondern auch ein realistischer Vorschlag unterbreitet werden. Die verbleibenden 29 Monate bis zum Start der documenta 8 sind zu knapp, als daß man Kandidaten nominieren könnte, von denen man nicht weiß, ob sie bereit und zeitlich in der Lage sind, diese Aufgabe zu übernehmen. Dies gilt vor allem für Nominierungen über den bisherigen Kandidatenkreis hinaus. Auf jeden Fall sind die Beiratsmitglieder in der Pflicht der documenta, nachdem die Stadt und das Land, auch auf Verlangen der Findungskommission, das Museum Fridericianum als Ganzes für die documenta freigehalten haben.
Im Moment scheint sich die Diskussion auf die beiden documenta-Macher im Wartestand, Wulf Herzogenrath und Kasper König, zuzuspitzen. Beide sind in Köln ansässig, und beide können gleichermaßen reiche Erfahrungen als Ausstellungsmacher vorweisen und sich auf unmittelbare Nähe zur aktuellen Kunstszene berufen.
Herzogenrath leitet den Kölnischen Kunstverein und hat sich durch eine lange Reihe kleiner, vielfältiger und dabei qualitätsvoller Ausstellungen profiliert. In seinem Konzept hatte Herzogenrath 1983 für Künstler-Räume als Erlebnisräume im Fridericianum plädiert und für die Nebenschauplätze Stadträume (Architektur- Skulptur) und Medienräume (Musik, Theater, Video) vorgeschlagen.
König. seit einiger Zeit Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Düsseldorf, ist als Macher zweier großer Ausstellungsprojekte (im documenta-Format) hervorgetreten: 1981 inszenierte er in der Kölner Messe mit Westkunst eine Kunstschau, die in einzelnen Partien neue Perspektiven auf die Kunstentwicklung seit 1939 eröffnete; 1984 organisierte er in der Düsseldorfer Messe die Ausstellung von hier aus, in der sich aktuelle deutsche Kunst in großartigen Räumen entfalten konnte. Sein documenta-Konzept zielte auf eine offene, inhaltliche Kunstschau, wobei in die aktuelle Gesamtausstellung. eine historische Archiv-Schau eingebunden werden sollte.
Oder kommt ein ganz neuer Name ins Spiel? Eine endgültige Entscheidung ist von der Aufsichtsrat-Sitzung am Dienstag noch nicht zu erwarten.
HNA 12. 1. 1985