Das Kandidaten-Karussell für die künstlerische Leitung der documenta 8 (1987) ist noch einmal kräftig in Schwung gekommen. In letzter Minute wurde dabei ein sechster Mann ins Spiel gebracht: Manfred Schneckenburger, der künstlerische Leiter jener documenta 6 (1977), die als die Mediendocumenta in die Geschichte eingegangen ist. Die documenta 6 hatte sich durch einige wohlfeile Abteilungen (Skulptur im Park, Handzeichnungen, Performance, Künstlerbücher) ausgezeichnet, hatte aber unter dem Medienkonzept und insbesondere zahlreichen Pannen (vor allem in der Malerei-Abteilung) gelitten. Schneckenburger gilt heute als einer der Experten für die Plastik.
Der Vorschlag, Schneckenburger zu berufen, wurde in der Expertenrunde geboren, die am Montagabend für den documenta-Aufsichtsrat eine Empfehlung erarbeiten sollte. Daneben wurden offensichtlich auch die bisherigen fünf Kandidaten (Germano Celant, Wulf Herzogenrath, Kasper König, Harald Szeemann und Edy de Wilde) diskutiert. Der Aufsichtsrat, der sich gestern mit den Experten-Empfehlungen auseinandersetzte, fand dabei überraschend doch zu einer Entscheidung. Sie soll allerdings erst heute in Kassel bekannt gegeben werden, da mit den Betroffenen zuvor die notwendigen Telefongespräche geführt werden sollten.
Unmittelbar vor den Kasseler Beratungen hatte Rudi Fuchs, Leiter der documenta 7, einen Brief verschickt, in dem er de Wildes Anspruch auf die documenta 8 unterstrichen hatte. Nach dem Rücktritt des Duos de Wilde / Szeemann sah der Aufsichtsrat jedoch diesen Anspruch als verwirkt an. Szeemanns Position hingegen war schwer auszumachen. Einerseits, schien es, als wollte er de Wilde den Vortritt lassen und als sei er dem Holländer auch durch die Mitarbeit an einem Projekt verpflichtet, andererseits soll er jüngst aber wieder sein Interesse an der documenta 8 bekundet haben.
Nachdem der Aufsichtsrat die Expertenrunde eingeschaltet hatte, wurden Szeemanns Aussichten, endlich doch berufen zu werden, äußerst gering gehandelt. Auch der Kreis der Fürsprecher für König wird nicht als sehr groß angesehen. Hingegen soll Herzogenrath seine Chancen dadurch verschlechtert haben, daß er sich als nur bedingt verfügbar bezeichnet hat.
HNA 16. 1. 1985