Schneckenburger erneut Leiter der documenta

Zehn Jahre nach der documenta 6 (1977) soll der Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher Dr. Manfred Schneckenburger (46) erneut eine documenta leiten. Diesen Beschluß faßte der docurnenta-Aufsichtsrat auf Grund einer entsprechenden Empfehlung der Expertenrunde, die Anfang der Woche in Kassel getagt hatte. Der Geschäftsführer der documenta, Klaus Angermann, erhielt den Auftrag, in den nächsten Wochen mit Schneckenburger den Vertrag auszuhandeln, damit der Aufsichtsrat am 15. Februar die offizielle Berufung aussprechen kann.

Wie Kassels Oberbürgermeister Eichel als Vorsitzender des documenta-Aufsichtsrates gestern vor der Presse erkärte, sei nach dem Scheitern von de Wilde und Szeemann, die im Dezember den Auftrag zur gemeinsamen Vorbereitung der documenta 8 (1987) zurückgegeben hatten, eine Verschiebung der nächsten documenta ausdrücklich ausgeschlossen worden. Von der Expertenrunde seien zeitweise zehn Namen diskutiert worden. Es sei eine Reihe „potenter Kandidaten“ darunter gewesen, die ihre Bereitschaft erklärt hatten, die Leitung zu übernehmen.

Eichel wies die Unterstellung zurück, die Personalentscheidung sei unter Zeitdruck gefallen und die Wahl Schneckenburgers sei nun eine Art Notlösung. Andererseits gab er aber zu erkennen, daß die Diskussion um den künftigen documenta-Macher sich sehr bald auf die Frage zugespitzt habe: Wer hat bewiesen
daß er es kann? Somit ging die Expertenrunde mit einer Empfehlung auseinander, die vor zwei Jahren die Findungskommission noch verworfen hatte – einen früheren documenta-Leiter wieder zu berufen: Harald Szeemann oder Manfred Schneckenburger.

Szeemarin, immer wieder ins Spiel gebrachter Lieblingskandidat vieler Kasseler documenta-Freunde, hatte im Dezember Kassel eine Absage erteilt. Trotzdem schien er weiter interessiert. Da zu Beginn der entscheidenden Aufsichtsrat-Sitzung, wie Eichel erklärte, von Szeemann jedoch kein klares Ja zur Übernahme der documenta-Leitung vorlag, sei er für dieses Gremium kein Kandidat mehr gewesen. Damit war der Weg für Schneckenburger frei.

Bei der Aussprache über Schneckenburger, so war zu hören, habe auch eine ausführliche Nachbetrachtung der von ihm geleiteten documenta 6 stattgefunden. Dabei sei auch an die hervorragende Skulptur-Abteilung erinnert worden, die Schneckenburger direkt verantwortet habe. Damals habe er sich außerdem zu der Position des künstlerischen Leiters in einem schon vorhandenen Komitee durchbeißen müssen. Heute hingegen sei er in den Wahl seiner Mitarbeiter frei.

Kommentar

Andere Akzente

„Herr Schneckenburger, im ersten Anlauf ist die Planung für die documenta verunglückt… Sehen Sie sich als berufenen Retter in der
Not?“

So könnte man heute ein Interview beginnen. Doch diese Formulierungen sind genau zehn Jahre alt. Damals wie heute besann man sich erst auf Schneckenburger,
nachdem andere aufgesteckt hatten. Ist der aus Stuttgart stammende und in Köln ansässige Kunsthistoriker also immer nur zweite Wahl? Im Vorfeld der documenta 6 bestimmt. Allerdings waren vor zehn Jahren die Voraussetzungen auch andere: Schneckenburger. erst seit eineinhalb Jahren Direktor der Kunsthalle Köln, war als Ausstellungsmacher ein relativ unbeschriebenes Blatt. Zudem fand er damals ein Arbeitskomitee vor, in dem er seine Führungsposition erst noch absichern mußte.

Auch heute ist er nach Szeemann zweite Wahl. Doch unter anderen Voraussetzungen: Er wurde Ausstellungsmachern wie de Wilde, König und Herzogenrath vorgezogen, und er wurde als eine Alternative zu Szeemann begriffen.

Niemand weiß, wie eine zweite Szeemann-documenta ausgesehen hätte, doch auch die zweite documenta Schneckenburgers wird keine Fortschreibuna seiner
ersten sein, Bei der documenta 6 ereignete sich das Merkwürdige, daß ihre Belastungen durch das Medienkonzept und ihre Pannen in den Bereichen von Malerei und Fotografie nachhaltiger das Image der Ausstellung prägten als ihre vielfältigen und beim Publikum wie bei der Kritik populären Erlebnisräume – Skulptur im Park, Künstlerräume im Fridericianum und Handzeichnungen in der Orangerie.

Gewiß wird Schneckenburger andere Akzente setzen, als es Szeemann getan hätte. Auf jeden Fall aber ist durch die Wahl Schneckenburgers eine Abkehr
von der musealen Einschließung der Kunst zu erwarten, wie sie Rudi Fuchs für die documenta 7 propagiert hatte. Und es ist nicht zufällig, daß die Berufung eines Experten für die Plastik genau zu dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem ein wachsendes Interesse der Künstler an dreidimensionalen Arbeiten weltweit zu spüren ist.

Schneckenburger wird es nicht leicht haben, weil er nicht nur gegen Negativbilder anzukämpfen, sondern auch mit übergroßen Erwartungen (in Hinblick auf die Freiplastik) zu rechnen hat, Gespannt darf man aber darauf sein, von welchen künstlerischen, inhaltlichen oder thematischen Ansätzen er ausgehen wird und vor allem, wen er als Mitarbeiter für die Malerei gewinnt. Eine vornehme Erstarrung der documenta ist unter Schneckenburger nicht zu erwarten.

HNA 17. 1. 1985

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