Am 15. Februar soll sich der in Köln lebende Kunsthistoriker Dr. Manfred Schneckenburger in Kasel offiziell als künstlerischer Leiter ier documenta 8 (1987) vorstellen. Un.ser Redaktionsmitglied Dirk Schwarze führte mit ihm folgendes Gespräch.
Frage: Herr Schneckenburger, genau nach 10 Jahren beginnen Sie zum zweiten Mal mit der Vorbereitung einer documenta. Wie hat sich Ihre Ausgangsposition gegenüber 1975 geändert?
Schneckenburger: 1975 hatten wir in manchem eine Spätphase: Medienthemen, die aus den vitaleren 60er Jahren in die ruhigeren, reflexiven 70er Jahre überkommen waren, einen Rückstand an documenta-Information über so wichtige Bereiche wie Zeichnung, Fotografie, Video. Das konnte 1977 aufgearbeitet werden. Für 1987 erkenne ich darin weder eine Perspektive noch eine Gliederung.
Was ist unsere derzeitige Situation? Eine gewisse Sättigung an vehementer Malgestik und Irrationalität oder wie die Schlagworte immer heißen? Ein Überdruß am rasanten Triumphzug der Malerei durch die großen Ausstellungen? Die documenta 8 wird jedenfalls kein Fazit aus gängigen Strömungen ziehen können, sondern auch andere und – hoffentlich – neue Wege zeigen müssen. Die documenta 8 muß – aus Neugier wie aus Selbsterhaltungstrieb – offener, gründlicher recherchieren
als fast jede documenta zuvor.
Zum Ausstellungsbegriff. Die documenta 6 schleppte lange als Erblast der documenta 5 einen Zugzwang zum theoretischen Konzept mit sich herum. Konzept wurde ein Fetisch, der einem beim direkten, sinnlichen Planen manchmal fast die Luft abschnürte. Erst allmählich setzte sich ein gelösteres Verhältnis von Praxis und Überbau durch. Rudi Fuchs hat die documenta von diesem Druck geheilt. Theorie und Konzept wurden wieder durch ein Programm ersetzt. Die documenta 8 hat ihm für diesen Rundumschlag – meinetwegen auch mit dem Weihrauchfaß – dankbar zu sein. Das heißt nicht, daß wir die Ausstellung schließlich nicht doch noch mit einer Begründung, einer intellektuellen Spannung, einer Vermittlungsperspektive versehen. Aber der Druck ist weg.
Frage: Und Ihre eigene Position?
Schneckenburger: 1975 hatte ein Gremium mich gesucht. 1985 muß ich mir mein Gremium suchen. 1975 war ich mit allen möglichen personellen Vorgaben, Komitees, Arbeitsgruppen, Separatismen gesegnet. 1985 wünsche ich mir einen sehr kleinen Diskussionskreis für die Ausstellungsstrategie und einen großen Korrespondentenkreis für das Ausstellungsprogramm. Ich bin sicher, wir haben die Chance, eine ebenso lebendige, aber sehr viel homogenere documenta 1987 zu machen.
Frage: Wie sehen das Verhältnis der großen Ausstellungen und des Kunstmarktes zur Kunst?
Schneckenburger: Die documenta 7 suchte, mit abgestuftem Erfolg, das Museumspiedestal. Sie etablierte damit nicht nur eine bestimmte Kunst, sondern auch einen bestimmten Ausstellungstyp. Sie probte eine Ausstellung, die sich dem Publikum weniger öffnete als Abstand hielt. Und sie hielt sich dabei, häufig an die gleichen Chefs wie Zeitgeist, von hier aus und großen Kunstmarkt-Kojen. Ich werde mich hüten, flotte Klischees über den Kunstmarkt auszustreuen – die Künstler, die Käufer brauchen ihn, die documenta braucht ihn, aber die Kunst hat sich seit den 60er Jahren immer wieder und nicht zuletzt aus der Verweigerung gegenüber dem Kunstmarkt regeneriert. Ich meine damit keine Mafia, sondern einen bestimmten Konsum. Das erste, nicht realisierte Konzept der documenta 5 machte daraus ein Fanal. Die documenta 8 wird ihre Suchfelder, ohne Berührungsangst vor Sockelplastik und Tafelmalerei, auch in diese Richtung vorantreiben.
Frage: Das heißt, Sie machen einen Unterschied zwischen der Ausstellungskunst der letzten Jahre und der Kunst, die wirklich in den Ateliers entsteht?
Schneckenburger: Ich sage nicht Ausstellungskunst. Und ich sage nicht Atelier. Warum sollen das Gegensätze sein? Warum soll Kunst aber auch nur in Ateliers entstehen? Vor 15 Jahren hieß Ausstellungskunst, was überhaupt nur noch in Ausstellungen eine Chance hatte: Künstlerräume, Konzepte. Vielleicht konnten und durften unsere Großausstellungen der letzten Jahre diesem Ansturm an Malgestik nicht widerstehen. Sie haben dabei zwangsläufig andere, vom Museum unabhängige, vielleicht sogar gegen das Museum gewandte Vorstöße blockiert… Aber wenn die documenta von Anfang an auch Antimuseum war, muß hier ihre offene, kommunikationsfähige Flanke sein.
Frage: Die documenta 6 ist ja in guter Erinnerung, beispielsweise was ihre Abteilungen Künstlerräume und Skulptur im Freien angeht. Wird es da Anknüpfungspunkte geben?
Schneckenburger: Nicht an die documenta 6, sondern an die Kunst. Die documenta 8 wird hoffentlich in der Lage sein, diese großartigen Spannungsfelder zwischen Fridericianum und Auepark zu nutzen. Ausstellungen stammen ja einerseits aus dem Blick auf die Kunst. Andererseits aus dem Appell ihres Aufführungsortes. Wo wüßte man das besser als in der Stadt Arnold Bodes!
Frage: Haben Sie schon eine Vorstellung von dem Team, mit dem Sie zusammenarbeiten werden?
Schneckenburger: Ja, auch wenn ich Ihnen jetzt keinen einzigen Namen nenne: Es wird in keinem Fall eine Völkerwanderung vom Rhein an die Fulda geben. Wie ich Ihnen schon sagte: ich möchte einen engeren Diskussionskreis, der intellektuell anregt, fördert, kontrolliert, bremst. Einen breiter, international gestreuten Informantenkreis in den Kunstzentren vor Ort. Wieweit es wieder Arbeitsgruppen mit festen Ausstellungsaufgaben geben wird, weiß ich noch nicht. Vermutlich ja.
Frage: Sie sind ja als derjenige profiliert, der für die Plastik und die raum bezogene Kunst zuständig ist?
Schneckenburger: Mag sein, daß sich das damals so ergeben hat. Da hier vieles vor Ort geplant werden mußte und ich den Etat lieber selbst unter Kontrolle hielt, war ich naturgemäß auf die Großprojekte konzentriert.
Frage: Aber Sie sind ja in der Zwischenzeit auch als Kenner sehr gefragt.
Schneckenburger: Die Leute fragen, und stellen dann doch ihre bronzene Seejungfrau auf. Jedenfalls glaube ich kaum, daß es wieder eine Trennung von Malerei und Plastik nach Arbeitsgruppen und Abteilungen geben wird. Die Selbstdarstellung der Medien – als Ausstellungskonzept – hat ausgedient.
Frage: Nun hat es la in der jüngsten Zeit zahlreiche Veröffenllichungen und auch kleinere Ausstellungen gegeben, in denen das Bindeglied zwischen der wieder erstarkten Malerei und der Plastik gefeiert wird: die farbige Skulptur. Sehen Sie darin mehr als eine modische Strömung?
Schneckenburger: Das läßt sich nicht pauschalisieren. Farbige Plastik ist ja kein neues Phänomen. Die 60er Jahre waren voll davon. 1985 reicht das Spektrum von Isa Genzken bis Judd – aber das sollen nun wirklich die einzigen Namen sein, die ich in den Mund nehme. Mit Mode haben diese beiden gewiß nichts zu tun. Im übrigen geht die Sinnlichkeit in der Plastik viele Wege. Es muß nicht immer Buntheit sein.
Frage: 1977 wurde auf der documenta die DDR-Kunst in breitem Rahmen vorgestellt. Wie sehen Sie das Verhältnis der documenta zur Kunst des Ostblocks und zur Kunst der Dritten Welt?
Schneckenburger: Polen oder Ungarn prinzipiell auszulassen, halte ich z. B. für falsch. Die Haftmann-Doktrin, daß Kunst nur in Freiheit möglich sei, wird, wie alle Doktrinen, der komplizierteren Wirklichkeit nicht gerecht. Die documenta braucht die besten dieser Künstler, und diese können den documenta-Bonus brauchen. Wenn die documenta irgendwo eine kulturpolitische, politische Dimension erreicht, dann hier. Für die Kunst der Dritten Welt nicht einzelne Künstler – hätte ich Sorgen, sie als Exotismus zwischen Tradition und Akademien zu verheizen… Ich frage mich, wie die documenta der Kunst aus Afrika oder Südasien, fern von ihrem eigenen Boden, Chancengleichheit garantiert.
Frage: Rudi Fuchs hatte vor der documenta 7 von einer Ausstellung der 40 Künstler geträumt. Es kam eine Ausstellung der 180 heraus. Sehen Sie die Zahl der Künst1er als etwas Entscheidendes an?
Schneckenburger: Nein, den Traum der 40 würde ich mit 60 gerne selber träumen. Aber es kommt ja nicht auf die Zahl der Künstler, sondern auf ihre Verteilung und Gewichtung an, ob als Monolithe herausgehoben, in Blöcken zusammengefaßt oder in Themen integriert.
Frage: Die räumlichen Voraussetzungen in Kassel haben sich seit der documenta 6 entscheidend verändert. Die Orangerie steht weitgehend nicht mehr zur Verfügung, das Fridericianum ist kein Labyrinth mehr, sondern ein klarer klassizistischer Bau. Was hat das für Folgen?
Schneckenburger: Ganz sicher, daß die documenta wieder ein zweites Gebäude braucht. Wenn das Fridericianum inzwischen eher poliert als auratisch wirkt, wäre natürlich ein Bau mit dem Charme von Historie und Improvisation erwünscht. Ein zweiter wichtiger Aspekt wird seine Lage sein. Die documenta spielt sich ja nicht nur in, sondern auch zwischen ihren Gebäuden ab. Der Weg sollte als eigenes Spannungsfeld erschließbar, begehbar sein.
Frage: Denken Sie als zweites Gebäude an die Neue Galerie?
Schneckenburger: Ich denke gar nichts, sondern werde mich umsehen. Die Idee, ausgerechnet zur documenta die Neue Galerie leer zu räumen, ist mir unbehaglich. Sie könnte eher eine Ergänzung zur documenta sein. Von den nötigen teuren Eingriffen in Marmor und Eiche ganz zu schweigen.
Frage: Die Diskussion um die documenta 6 war unter anderem auch geprägt von Kritik an der Vermittlung. Wird es beider documenta 8 so etwas wie eine Besucherschule geben? An welche Vermittlungsebene denken Sie?
Schneckenburger: Die Diskussion um die documenta 6 war nur sehr begrenzt durch die Kritik an der Vermittlung geprägt. Wer hier kritisierte, nahm das Angebot meistens gar nicht wahr. Als Sünde wider den Geist galt Vermittlung eigentlich erst auf der documenta 7. Ob Bazon Brock Kunst und Ausstellung wieder zur harten Arbeit erklären darf, ob wir die Vermittlung in Abfolge und Grundriß integrieren, ob wir sie als flankierende Maßnahmen mehr oder weniger locker anbinden das alles steht noch zur Diskussion. Suggestivität und Vermittlung sollen jedenfalls nicht wie Feuer und Wasser sein.
Frage: 1974 wurde diskutiert, den neuen künstlerischen Leiter eventuell für zwei documenten zu berufen. Sie machen jetzt die zweite documenta.
Schneckenburger: Ganz so war es nicht. 1975 sollte nach all den Querelen ein ständiger künstlerischer Leiter angestellt werden, der sich jedes Mal komrnpetente Mitarbeiter herholt. Ich nehme an, der Aufsichtsrat wollte einfach, was alle Aufsichtsräte wollen: Ruhe an der Front. Man bot mir diese Stelle an, ich lehnte ab, weil ich mir einen documenta-Beamten auf Lebenszeit einfach nicht vorstellen kann. Also habe ich mich auf die documenta 6 beschränkt.
Frage: Jetzt machen Sie die documenta zum zweiten Mal. Sind Sie froh darüber, daß Sie nicht sofort bei der documenta 7 unter Zugzwang standen?
Schneckenburger: Nicht nur das. Ich sagte 1977 klipp und klar nein. Inzwischen hat sich so vieles geändert, daß ich ebenso klipp und klar ja sagen konnte.
Frage: Reicht die Zeit?
Schneckenburger: Genau so gut und so schlecht wie 1975. Damals hatten wir inklusive Verschiebung die gleiche Frist.
Frage: In Kassel wird seit einiger Zeit die Frage diskutiert, ob der documenta-Macher nicht auch an der Hochschule als Gastdozent wirken sollte. Halten Sie das für sich für denkbar?
Schneckenburger: Ich halte das sogar für wünschenswert, wenn meine Zeit es erlaubt. Eine Hochschulveranstaltung wird dadurch die documenta natürlich nicht.
HNA 7. 2. 1985