Räumliche Utopien

Zwei Ausstellungsmacher, die selbst eine Zeitlang als Kandidaten für die künstlerische Leitung der documenta 8 gehandelt worden waren, hat Manfred Schneckenburger in sein Führungsteam für die Kasseler Weltkunstschau berufen: Es handelt sich um Wulf Herzogenrath, den Direktor des Kölnischen Kunstvereins, der bereits :1977 zum documenta-Stab Schneckenburgers (für Video) gehörte, und um Arnim Zweite, den Direktor der Städtischen Galerie im Lenbach-Haus in München. Während Herzogenrath in der documenta-Findungskommission keine Mehrheit gefunden hatte, war Zweite, der sich selbst nicht beworben hatte, aus persönlichen und beruflichen Gründen aus dem Rennen um die documenta-Leitung ausgeschieden.

Als weitere Mitglieder seiner Mannschaft berief Schneckenburger den italienischen Kunstkritiker und Ausstellungsorganisator Vittorio Fagone, der an der Biennale in Venedig mitgewirkt und das Video-Festival in Locarno gegründet hat, sowie den amerikanischen Kunsthistoriker Edward Fry, der am New Yorker Guggenheim-Museum arbeitete und für die vielbeachtete Abteilung der Außenplastik in der docunienta 6 zuständig war.

Da die documenta 8 nicht in Abteilungen aufgegliedert werden soll, wird es innerhalb der Führungsmannschaft auch keine thematische Arbeitsteilung geben, betonte Schneckenburger in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Die Mitarbeiter seien als ganzes Team für die ganze Ausstellung zuständig; bei dieser Zusammensetzung könne man sowohl Erfahrungen aus der documenta 6 nutzen als auch (über neue Leute) neue Ideen einbringen. Die Tatsache, daß mit Herzogenrath und Fagone gleich zwei Video-Spezialisten berufen wurden, darf nach Schneckenburger nicht zu dem Fehlschluß verleiten, auch 1987 werde es eine Mediendocumenta geben.

Außerhalb des engen Führungsteams wurden noch folgende Mitarbeiter verpflichtet: Elisabeth Jappe für den Bereich Performance (auf diesem Gebiet hat sie in Köln ein anspruchsvolles Programm entwickelt), Karl-Oskar Blase für das grafische Erscheinungsbild (wie bereits 1977) und Vladimir Nikolic für die Ausstellungsarchitektur; Blase und Nikolic sind Professoren an der Gesamthochschule Kassel (GhK).

Obwohl damit erst 18 Monate vor der Eröffnung die documenta 8 auch personell auf den Weg gebracht“ ist, beginnt die Arbeit jetzt nicht am Punkt Null. Schneckenburger hat nicht nur mit einigen Künstlern bereits Projekte vor Ort besprochen, sondern für ihn zeichnet sich mittlerweile aufgrund intensiver Atelierbesuche auch ein Überbau ab.

Zwei Stichwörter sind dabei für ihn wichtig: Die entscheidenden künstlerischen Prozesse beobachtet Schneckenburger jenseits der Malerei, wobei er eine Verbindungslinie von der Zeichnung über Modellbauten, Skulpturen, Installationen und die Architektur bis hin zu Künstler-Möbeln sieht. Zum anderen stellt er fest, daß die Hinwendung zu plastischen und räumlichen Utopien häufig mit Rückgriffen in die Vergangenheit verbunden sei; so glaubt er, daß die „Geschichtlichkeit der Gegenwart“ zur Eigenart der aktuellen Kunst gehöre und daß möglicherweise unter diesem Begriff die Ausstellung zu strukturieren sei. Wenn zu den zeitgenössischen Künstlern auch ältere hinzugezogen werden sollten, dann müsse dies aus der Perspektive der Gegenwart gerechtfertigt sein. Im Bereich der Architekturbauten hält Schneckenburger den russischen Revolutionskünstler Tatlin für eine solche Vorbildfigur.

Jeder Künstler soll nach Schneckenburger so ausgesucht werden, daß er zum Profil der Ausstellung beiträgt; und jeder Künstler soll den Raum erhalten, damit er sich (und seine Arbeit) entfalten kann. Der künstlerische Leiter denkt an eine Obergrenze von 170 Künstlern, wobei sich allerdings die Zahl durch das Performance- und Video-Programm erhöhen könne.

Kommentar

Auf dem Weg
Die Bildung des Führungsteams für die documenta 8 hat länger gedauert, als es Manfred Schneckenburger lieb war. Ausstellungsmacher sind der Natur nach Einzelgänger. Kein Wunder also, daß es schwerfällt, Mitarbeiter zu finden, die sich profiliert haben und nun bereit sind, sich einzufügen.

Wenn Namen Programme sind, dann ist die Wegrichtung klar auszumachen: Nach einer Ausstellung, die der Malerei wieder zu Glanz verhalf (documenta 7), wird sich nun wieder eher die Kunst in Szene setzen, die sich jenseits der Leinwand im Raum und in der Zeit entfaltet. Herzogenrath, Fry, Fagone und Schneckenburger selbst können als Anwälte für diese Kunst gelten.
Schon Harald Szeemann hatte, als er noch mit Edy de Wilde auf die documenta 8 hinsteuerte, auf die wachsende Bedeutung der Skulptur hingewiesen. Derzeit erlebt die plastische Kunst eine Wiedergeburt wie fünf Jahre zuvor die Malerei. Immer schneller werden Kunstrichtungen als Moden verbraucht. Umso mehr ist dem Schneckenburger-Team zu wünschen, daß es jenseits dieser Marktprozesse ein Konzept findet.

Sicher ist nicht ein Übergewicht der technischen Medien zu befürchten. Herzogenrath und Fagone haben mehr vorzuweisen als Video-Kunst. Gewiß wird die Skulptur in der Stadtlandschaft auch neue Erlebnis- und Spannungsräume schaffen. Doch hoffentlich wird die Malerei nicht wie vor zehn Jahren unterbelichtet. Die Malerei ist längst nicht ausgereizt.

HNA 10. 12. 1985

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