Der Japaner Tadashi Kawamata (Jahrgang 1953) hat die klassische Malerei studiert, er hat sich mit Fresken und Mosaiken beschäftigt. Obwohl Japan eine ganz eigene Kultur hat, geriet Kawamata wie viele andere jKünstler dieses Landes unter den Einfluß der europäischen Kunst. Das hatte zur Folge: Er abstrahierte im Laufe der Zeit seine Malerei soweit, daß am Ende nur noch der Keilrahmen als Objekt übrig blieb.
Eines Tages zog er die Konsequenz daraus, kehrte der Malerei den Rücken und begann, aus den Keilrahmen Formen zu bauen und schließlich das rohe Lattenholz für sich als Gestaltungsmittel zu entdecken. Dabei reizte ihn nicht die isolierte Skulptur, sondern vielmehr die an und aus einem Bauwerk entwickelte Form.
Gebäude sind normalerweise hermetisch abgeschlossen, das Mauerwerk trennt streng das Innen vom Außen. Kawamata nun will das Gebäude öffnen, mit Hilfe von Installationen innen und außen zusammenbringen. Seinen ersten großen internationalen Auftritt mit einem solchen Projekt hatte er vor fünf Jahren in der Biennale inVenedig. Da hatte er den japanischen Pavillon zu einer riesigen Skulptur werden lassen.
Zur Zeit bereitet er gleichzeitig drei Installationen vor – eine in Grenoble, eine zur Biennale von Sao Paolo und eine zur Kasseler documenta 8. Das Kasseler Projekt ist von besonderem Reiz, weil Kawamata in der Innenstadt die Ruine der Garnisonkirche für seine Arbeit ausgesucht hat. Dem japanischen Künstler geht es bei seinen Holz-Installationen nämlich nicht um (kritische) Auseinandersetzung mit der Architektur, sondern er möchte mit seiner Arbeit einen Platz und seine Geschichte ins Rampenlicht rücken. Und da ist für ihn die im Schatten des Zentrums stehende Kirchenruine ein idealer Ort. Ihn beschäftigt intensiv, daß mitten in der Großstadt 40 Jahre lang eine Ruine unangetastet blieb und daß unter dem Boden noch die Trümmer und möglicherweise Opfer liegen.
Mit seinem documenta-Beitrag holt Kawamata die Ruine aus dem Schatten heraus. Über eine Treppe sowie eine Rampe wird man erstmals wieder in sie hineingehehen können, um die historische Stätte sowie Kawamatas Arbeit zu erleben: Mit Hilfe von Mitarbeitern errichtete der Künstler eine massive Balkenkonstruktion, die die Mauern überwindet. Auf diese Balken werden alte Holzbretter unterschiedlicher Größe so befestigt, daß sich eine Spiralform ergibt, die aus dem Innern der Ruine durch ein Fenster nach draußen dringt, wieder nach innen geht und erneut nach draußen führt, um schließlich innerhalb der Mauern zu enden. Der rechteckige statische Ruinenbau wird auf diese Weise aufgelöst und von Kreisformen überlagert. Die Bretter werden dabei so angenagelt, daß sich eine fließende Bewegung ergibt.
Zum Konzept von Kawamatas Installationen gehört deren zeitliche Begrenzung. Daher wird die ganze Holzkonstruktion so angebracht, daß sie das Mauerwerk nicht antastet. Wenn nach der documenta seine Arbeit abgebaut wird, sollen keine Spuren bleiben.
HNA 23. 5. 1987