Dialog mit dem Ort

Der israelische Künstler Dani Karavan (Jahrgang 1930) arbeitet nur auf Bestellung. Er gilt als Bildhauer, doch formt er keine Plastiken. Und wenn er für eine Stadt oder eine Landschaft eine zeichensetzende Skulptur entwickeln soll, dann muß der Auftraggeber die Katze im Sack kaufen. Denn Dani Karavan reist nicht mit fertigen Entwürfen und Modellen durch die Lande, um seine Kunst zu verkaufen. „Ich will nicht für Galeristen arbeiten, sondern für die Gesel1schaft“, bekennt er im Gespräch.

Um das zu erreichen, entwickelt Karavan seine Projekte jeweils für ganz bestimmte Plätze. Die fertige Arbeit soll zum Dialog mit dem Ort, mit seiner Geschichte und mit den Menschen einladen. „Das öffentliche Leben ist Teil meines Werkes“. Wenn Karavan diesen Anspruch formuliert, dann zielt er nicht nur auf die erhoffte Wirkung seiner Arbeiten, sondern denkt auch an die Verpflichtung, die er eingeht. Schließlich sind alle seine Reliefs, Skulpturen und Environments mit Hilfe öffentlicher Gelder verwirklicht worden. Sein künstlerisches Selbstverständnis verbindet sich also eng mit seinem Bekenntnis zur Demokratie und ihren Entscheidungsprozessen.

Derzeit entstehen große Arbeiten von Karavan in Jerusalem und Breda. Mitte der 60er Jahre baute er in der Negev-Wüste eine Gedenkstätte als ein Environment, das 100 mal 100 Meter groß ist. Eins seiner jüngsten Werke ist die Platzgestaltung vor dem Neubau des Museums Ludwig in Köln: Aus der partienweise rein dekorativ wirkenden Pflasterung wachsen Zeichen und Elemente, die dem Platz Gestalt geben, die zur Orientierung verhelfen, die aber auch zwischen der Kunstlandschaft und deren Umgebung (Bahnhof) vermitteln.

Zur documenta 6 (1977) hatte Dani Karavan in der Kasseler Karlsaue ein Environment geschaffen, das auf die Parklandschaft antwortete. Es war für sich selbst ein sehr klares und archaisches Zeichen (zwei eng beieinander stehende Pfeiler vor einer Himmelstreppe), und mit seiner Hilfe wurde die Sonne zur Landschaftszeichnerin. Das Beton-Environment wanderte nach Abschluß der documenta nach Florenz.

Mit seinem Projekt für die documenta 8 geht Karavan ins Zentrum der Stadt. Schon im Vorfeld der konkreten Ausstellungsplanung war sein Name im Zusammenhang mit einer Neugestaltung des Kasseler Rathausvorplatzes genannt worden. Karavan würde diese „große Aufgabe“ sehr reizen, weil dieser Platz im Moment verloren sei und als Treffpunkt wiedergewonnen werden müsse. Das Denken in der Achse, das durch die Straßenbahnführung vorgegeben werde, müsse aufgebrochen werden. Für ihn, so Karavan, wäre es ein Traum, diesen Platz zu gestalten und somit ein neues städtisches Erlebnis zu vermitteln.

Doch Karavans documenta-Beitrag bringt noch nicht die Erfüllung des Traumes, sondern vollzieht lediglich einen Schritt auf dem Weg dorthin. Der israelische Künstler will auch noch nicht so weit gehen, ein Modell für eine mögliche Umgestaltung von des Rathaus-Vorplatzes zu entwickeln. Ihm geht es mehr darum, die documenta-Besucher und darüber hinaus die Einwohner der documenta-Stadt in eine neue Sichtweise einzuüben; vorzuführen, wie man Materialien und Formen erlebt; und zu zeigen, wie das Leben an einem solchen Platz funktionieren kann.

Der israelische Künstler wird also zur documenta für die Rathaus-Treppe und den Vorplatz keine Lösung in Beton schaffen, sondern mit Hilfe von vergänglichen Materialien (wie Holz) eine Projektion gestalten. So wird ein vorläufiges Zeichen gesetzt, das dann auch die innerstädtische Diskussion befördern kann.

HNA 9. 5. 1987

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