Fest in der Tradition

Die documenta 8, die in genau fünf Wochen in Kassel beginnt, wird sich in ihrer Auswahl deutlich von ihrer Vorgängerin unterscheiden. Da sie aber an den zentralen Punkten auf die Werke solcher Künstler zurückgreift, die bei den vergangenen drei doumenten Akzente gesetzt haben, wird die Momentaufnahme der aktuellen Kunst fest in die Tradition eingebunden. Diesen Schluß läßt die Künstierliste zu, die letzt vorgelegt wurde.

In ihr findet sich eine ganze Reihe altvertrauter documenta-Namen – unter anderem: Richard Artschwager, Alice Aycock, Joseph Beuys, Christian Boltanski, Scott Burton, Tony Cragg, Enzo Cucchi, Jochen Gerz, Hans Haacke, Albert Hien, Jenny Holzer, Dani Karavan, Anselm Kiefer, Imi Knoebel, Wolfgang Laib, Robert Longo, Gerhard Merz, Robert Morris. Wolfgang Nestler, Maria Nordmann, Anna Oppermann, Nam June Paik, Giulio Paolini, Giuseppe Penone, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Ulrike Rosenbach, Ulrich Rückriem, Helmut Schober, Alf Schuler, Richard Serra, Klaus Staeck, George Trakas und Franz Erhard Walther.

Es ist Manfred Schneckenburger und seinem Team gelungen, die Künstlerliste nicht ausufern zu lassen. Sie pendelt sich bei 190 Namen ein und bleibt damit in der Größenordnung der von Rudi Fuchs geleiteten documenta 7. Zieht man gar die 48 Performance-Künstier mit ihren zeitlich begrenzten Auftritten ab, dann kommt man auf nur 110 Künstler, zu denen noch 13 Architekten und 19 Designer hinzugerechnet werden müssen. Auch wenn Schneckenburger immer wieder betont, daß die Malerei in dieser documenta üppig vertreten sei, wird dies in erster Linie eine Ausstellung der Skulpturen und Installationen. Der documenta-Leiter hat dabei den Vorteil, daß seine ausgeprägten Interessen für die Skulptur durch die gegenwärtigen Tendenzen gerechtfertigt werden: Es gab lange keine Zeit, in der so viele Künstler den Umgang mit plastischen Materialien und Formen wählten. Dabei wird sich jene Kunst am stärksten in den Vordergrund drängen, die die Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Vokabular der Architektur und der Gebrauchsgüter sucht.

Im Vergleich zur documenta 7 werden drei wesentliche Dinge anders sein: Die Ausstellung drängt wieder sehr stark nach außen. Große Arbeiten von Richard Serra, Ulrich Rückriem, George Trakas, Tadashi Kawamata, Jan Hamilton Finlay und Stefan Wewerka werden Akzente in der Innenstadt und im Auepark setzen. Außerdem wird das umfangreiche Performance-Programm, das in sieben Blöcken über den documenta-Sommer verteilt abläuft, mit vielen Aktionen in die Stadt hineinführen.
Die zweite Akzentverschiebung ist die verhaltene Rückkehr zu Abteilungen. Innerhalb der reinen Kunst-Ausstellung gibt es zwar lediglich Gruppierungen, doch insgesamt setzt sich die documenta 8 aus vier Blöcken zusammen – die Kunst- Schau wird ergänzt durch die Abteilungen Architektur und Design sowie durch die Performance als Aktionsfestival. Mit Spannung darf man darauf warten, ob die Gegenüberstellung von aktueller Kunst, die sich an der Objektwelt des Alltags reibt, und beispielhaften Design-Stücken in der Orangerie gelingt. In der Architektur-Abteilung gab es für die Teilnehmer eine klar umrissene Aufgabe: Sie sollen ihr Ideal-Museum vorstellen.

Der dritte Unterschied ist, daß Schneckenburger und sein Team wieder eine thematische Tendenz in der Kunst zu erkennen glauben. Während Fuchs noch 1982 alle inhaltlichen Bindungen zugunsten des Ästhetischen zurückdrängte, richtet sich nun „das Augenmerk auf eine neue historische und soziale Dimension der Kunst“.

Die documenta 8 werde die Kunst nach Beuys und neben Baselitz zeigen, liebt Schneckenburger zu formulieren. Beuys ist mit seinem letzten großen Environment vertreten, der Maler und Bildhauer Baselitz aber bleibt draußen vor. Dieser Verzicht auf einen der Exponenten zeitgenössischer Malerei ist mehr als die Absage an einen Namen, er steht für die Abkehr der (expressiven) Malerei, die vor fünf Jahren ihre Triumphe feierte. Kommt also am Ende die nach wie vor vitale Malkunst doch zu kurz?

HNA 7. 5. 1987
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