Brücke zum Publikum

Die Kasseler documenta 8, die heute um zehn Uhr ihre Tore öffnet, will wieder eine Brücke von den Künstlern und der Ausstellung zum Publiküm schlagen. Manfred Schneckenburger, künstlerischer Leiter der d 8, machte mit diesem Versprechen vor der internationalen Presse deutlich, daß er auf das breite Publikum setzt. Immerhin müssen nach den Kalkulationen für den 7,6-Millionen-DM-Etat mehr als 350 000 Besucher in die 100-Tage-Ausstellung kommen, wenn kein Defizit entstehen soll.

Die Voraussetzungen für eine gute Vermittlung sind gegeben: Rechtzeitig zur gestrigen Pressekonferenz im Kasseler Opernhaus lag der dreibändige Katalog (broschiert 90 DM, gebunden 158 DM) vor. Den ersten Rundgang konnte man mit Hilfe des Ausstellungsführers (112 S., 12 DM) von Günter Metken unternehmen, in dem die Künstlerbeiträge abgebildet und beschrieben sind. Darüber hinaus kam die aktuelle Ausgabe von „documenta press‘ (2 DM) heraus, die über die Konzeption und das Programm informiert. Schließlich gibt es auch eine audiovisuelle Wand, die in die Ausstellung einführt; das Videoband dazu liegt ebenfalls vor und kann erworben werden.

Die Vermittler und Katalogmacher waren also schneller als die Ausstellung selbst. Denn auch gestern noch mußte bis zur letzten Stunde in der Orangerie gebaut und installiert werden. Lediglich für zwei Stunden wurden die angereisten Kritiker hereingelassen, um einen Blick in die nun weitgehend fertigen Kojen werfen zu können.

Doch welche Eindrücke wurden da gewonnen? In einem Bereich, in dem es um die Wechselbeziehungen von Kunst, Design und Architektur geht, in dem das Erscheinungsbild insgesamt stimmen muß, gerät die beste Installation ins Wanken, wenn Leitern den Blick versperren oder der Rahmen nur halbfertig ist.

Prof. Heinrich Klotz, Direktor des Frankfurter Architekturmuseums und zuständig für den Bereich Architektur in der documenta 8, brachte die Klage des Teams über die Ursachen der Verzögerung klar zum Ausdruck: Einige Architekten hätten ihre Pläne zu spät geliefert, Josef Paul Kleihues sogar erst vorige Woche. Klotz fügte auch gleich hinzu, daß er mit einigen Entwürfen für das Ideal-Museum gar nicht zufrieden sei. Zuvor hatte er jedoch begrüßt, daß die Architektur endlich in die documenta aufgenommen worden sei.

In der Pressekonferenz hatten Schneckenburger und seine Mitarbeiter noch einmal das Konzept für die Gesamtausstellung und deren verschiedene Sektoren erläutert. Schneckenburgers These, die Künstler hätten sich wieder der Gesellschaft und ihren Problemen zugewandt und würden die Auseinandersetzung in der Stadt suchen, forderte allerdings eine längere Diskussion heraus. In ihr wurde die Ausstellungsleitung (unter dem Beifall anderer Kritiker) gefragt, warum die Künstler des Ostblocks so schlecht vertreten seien, warum die Künstler aus Lateinamerika fehlten, und schließlich wurde auch der geringe Anteil von Künstlerinnen bemängelt. Daran knüpften sich Fragen nach Grundverständnis von Gesellschaft und Kunst.

Schneckenburger antwortete hinhaltend bis ausweichend und meinte, die gesellschaftlichen Probleme in den angesprochenen Ländern seien so andersgelagert, daß deren künstlerische Reflexion nicht ohne Schwierigkeiten übernommen werden könnte.

Kritisch wurde auch nach der Finanzierung der „großkotzigen“ Installationen gefragt – ob die von der documenta bezahlt worden seien, von den Galerien oder wie im Falle der Video-Arbeiten von Sponsoren. Hier war die Antwort Schneckenburgers klar: Ohne eine Mischfanzierung wäre der documenta vieles nicht möglich gewesen. Arbeiten, die verkauft werden könnten, würden von der documenta nicht bezahlt. Für Arbeiten, die aber nur für den Ort ihrer Aufstellung angefertigt würden, gebe es einen Sockelbetrag. Darüber hinaus erforderliche Aufwendungen müßten mit Hilfe von Sponsoren oder Galeristen aufgebracht werden.

Die Pressekonferenz zur documenta 8 fand nicht nur deshalb im Kasseler Staatstheater statt, weil das Opernhaus angesichts des Andrangs genug Platz bot, sondern diese Plazierung war auch ein Signal: Erstmals gibt es wieder eine intensive Zusammenarbeit zwischen Theater und Kunstschau – das Theater hat seine Spielzeit verlängert und eine Reihe von Sonderproduktion und hochrangigen Gastspielen organisiert. Auch dafür gab es Beifall.

HNA 12. 6. 1987

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