Es hat immer wieder Versuche gegeben, die Kasseler documenta als reine Kunstausstellung aufzubrechen und andere Bereiche der Gestaltung hereinzuholen: Arnold Bode träumte schon frühzeitig von der Verknüpfung von Kunst und Architektur in der Ausstellung. Harald Szeemann führte dann 1972 die unterschiedlichsten Bildwelten zusammen, und jene documenta 5 sowie deren Nachfolgerin präsentierten utopisches Design. Bei der documenta 8 nun sind Architektur und Design erstmals nicht auf Randabteilungen verwiesen, sondern voll in die Ausstellung eingebunden. Was ist davon zu halten? Dieser Frage versuchte eine Diskussionsrunde in der Gesamthochschule Kassel nachzugehen, die sich unter de Begriffspaar Funktion – Asthetik zum Streitgespräch zusammengefunden hatte.
Der Streit wurde zu Unrecht zu Lasten der sogenannten Funktionalisten geführt, jener Designer, die Produkte von den Bedürfnissen und Anforderungen her entwickelt werden. Prof. Herbert Oestreich (Gesamthochschule Kassel) sah sich als deren Fürsprecher schnell ins Abseits gedrängt. Dabei hatte die andere Seite keineswegs die besten Karten gehabt. Mitglieder der Design-Gruppe Pentagon, die zur documenta 8 das Bistro New York mit Möbeln ausgestattet haben, lehnten die rein funktionale Sichtweise ab. Sie sprachen sogar von asozialen Gesichtspunkten für die Objektgestaltung und beklagten, daß im klassischen Design der sinnliche Aspekt vernachlässigt worden sei.
Wie sieht aber der sinnliche Aspekt in der documenta-Wirklichkeit aus? Der Spanier Javier Mariscal schuf Kassenhäuschen in Form von abgebrochenen Säulen. Ganz abgesehen davon, daß vor dem Museum Fridericianum das Umfeld diese grauen Säulen-Torsi an der Entfaltung hindert, schaffen diese Häuschen für das Personal nur schwer erträgliche Arbeitsbedingungen. Zählt der sinnliche Aspekt nur für den Betrachter?
Da wirken doch die Funktionalisten überzeugender. Daß der kritische Aspekt gegenüber den Design-Beiträgen zur documenta in der Diskussion kaum herausgearbeitet wurde, lag vielleicht daran, daß Michael Erlhoff (Rat für Formgebung) ein zwar brillanter, aber eben doch parteiischer Diskussionsleiter war. Erlhoff hat die Design-Beiträge zur documenta ausgewählt.
Der rechte Streit in dem Gespräch blieb aus. Die derzeitige Situation aber umriß Prof. Helmut Krauch von der Gesamthochschule Kassel am treffendsten. Er erteilte nicht nur dem alltäglichen Design eine deutliche Absage (,Unsere Welt ist vollgestellt mit blödem Zeugs), sondern er wies auch immer wieder auf den Zusammenhang zwischen Design und sozialen Bedingungen hin: In unserer Gesellschaft würden vornehmlich Dinge produziert, die nicht körperliche Bedürfnisse befriedigen müßten, sondern die nur der eigenen Stilisierung und Inszenierung dienten (Kleidung, Autos). Er brachte den Designer zurück in die gesellschaftliche Wirklichkeit, die andere vernachlässigt hatten.
HNA 26. 6. 1987