Unterm Stern

Ein tiefblauer Mercedes, das neueste Modell: Auf einer ebenso blauen Scheibe dreht er sich, spiegelt sich in ihr und zieht verführerisch die Blicke all Jener auf sich, die schon immer von einem eleganten, luxeriösen, kraftvollen und perfekt durchgestalteten Auto träumten.

So könnte ein Bericht über einen Autosalon beginnen. Aber hier ist von einer Kunstausstellung die Rede, von der documenta 8 in Kassel. Dort wird dieses Auto auf der rotierenden Scheibe in der Orangerie, mitten zwischen Kunstwerken, Design-Objekten und Architektur-Visionen präsentiert. Es steht dort glänzend und löst die größte Verwunderung, die heftigsten Diskussionen aus: Was soll das Auto in der Kunstschau? Steckt dahinter ein raffinierter Werbe-Einfall? Kunst kann das doch nicht sein – oder?

Das Auto ist zwar von dem Konzern aus Untertürkheim aufgestellt worden, doch nicht, weil die documenta auf diesem Weg zusätzliche Etatmittel gewinnen wollte. Die Idee stammt vielmehr von dem französischen Künstler Ange Leccia, der durch verschiedene Inszenierungen bekannt wurde, in denen er Autos sich mit Scheinwerfern anblicken ließ oder Flugzeugnasen aufeinander richtete.

Leccia wandelt auf den Spuren von Marcel Duchamp (1887 – 1968), der vor 70 Jahren die Kunstwelt damit überraschte, daß er industriell produzierte Güter als Kunstobjekte vorstellte, um zu zeigen, daß es eine Frage der Setzung, der Übereinkunft, sei, was man als Kunst begreife.

Die documenta 8 will zeigen, daß die Kunst sich wieder stärker der Gesellschaft öffnet. Leccia nimmt dieses Programm wörtlich und holt ein verführerisches Produkt aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit in den Kunstzusammenhang, um die dortige Ordnung enorm zu stören. Der aus Metall geformte Traum von Eleganz und Geschwindigkeit karikiert die Bemühungen, in der Kunst das Neueste und das Überzeugendste zu suchen. Noch mehr aber befördert dieser Beitrag die Design-Beiträge zur documenta auf ein Abstellgleis: Asthetik und Funktion sind längst in der Wirklichkeit vereint.

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Ein zweites Bild, das hier schon einmal beschrieben wurde: Im Erdgeschoß des Museums Fridericianum hat der in New York lebende Künstler Hans Haacke eine feierliche Inszenierung aufbauen lassen, die sich der Selbstdarstellung eines Konzerns annähert: Über dem zum Raumzeichen ausgestalteten Signet der Deutschen Bank rotiert der leuchtende Mercedes-Stern. Ein Leuchtbild im Hintergrund sowie Tafeln zu beiden Seiten verweisen auf die Verflechtung der beiden deutschen Großunternehmen sowie deren geschäftliche Verbindungen mit dem rassistischen Regime in Südafrika.

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Ein drittes Bild schließlich: Allabendlich projiziert der ebenfalls in New York lebende Pole Krzysztof Wodiczko Dia-Bilder in das Giebeldreieck des Museums Fridericianum, auf das Denkmal des Landgrafen Friedrich sowie auf die Lutherkirche. Den stolzen Landgrafen verwandelt Wodiczko dabei in einen Mann mit weißem Hemd (Kittel), Krawatte und Mercedes-Stern auf der Brust. Der Sockel des Denkmals wird in der Projektion zur Verpackungskiste.

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Es ist ein Zufall, daß drei im Ausland lebende Künstler in ihren documenta-Beiträgen aus ganz unterschiedlichen Gründen den Mercedes-Stern zum Leitsymbol werden ließen. Und doch scheint es, wenn man genau überlegt, kein Zufall zu sein: Der weltweite Erfolg der deutschen Edellimousinen und der unaufhaltsame Aufstieg dieses Autokonzerns haben offensichtlich den Stern im Ausland zu einem Symbol der deutschen Perfektion, der deutschen Technik und der deutschen Macht werden lassen. Leccia spiegelt in seinem Auto diese Vermischung aus Verführung, Perfektion und Gewalt, Haacke stellt die Geschäftspolitik in Frage und Wodiczko macht relativ offene kritische Anmerkungen.

Die gesellschaftliche Wirklichkeit mit ihren Machtzusammenballungen erhält auf eine ganz andere Weise Einzug in die documenta, als viele vermuten. Durch das Zusammentreffen der drei Beiträge wird sichtbar, wie sich das Bild Deutschlands gewandelt hat. Der Stern ist zum neuen deutschen Symbol geworden, er hat den Adler verdrängt.

HNA 24. 6. 1987

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