Zwischen dem Theater auf der einen Seite und den Gemälden, Objekten und Installationen auf der anderen gibt es eine unendlich reiche und vitale Szene. Von vielen noch nicht recht wahrgenommen, hat sich in diesem Zwischenbereich eine Avantgarde herausgebildet, die sowohl ins Theater als auch in die bildende Kunst zurückwirken kann. Das Performance-Programm der documenta 8 und das vom Kasseler Staatstheater aus Anlaß der Kunstschau arrangierte Festival liefern eine Fülle von Belegen dafür.
Eine Folge atemberaubender und dabei präziser Bilder bot jetzt im Opernhaus die Uraufführung der Tanz-Szenen Das Glas im Kopf wird vom Glas, die der Belgier Jan Fabre erarbeitet, einstudiert und ausgestattet hat. Während im Bühnenvordergrund zwei Tänzer in Ritterrüstungen schwerfällig Ballettschritte ausführen, öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf ein riesiges, faszinierendes Bild, das in freien, fleckigen Formen zwischen Blau, Violett, Grau und Silber wechselt. Vor der Mittelachse dieser Farbkulisse steht auf einem Sockel und der Wand zugekehrt, hoch über den Köpfen der Akteure, eine Frau, deren heller Körper wie eine Lichtfigur vor dem Bild wirkt. Die Ritter lassen sich rechts und links vor der Wand nieder und bilden so ein strenges Dreieck mit der Frauengestalt, vor dem später dann acht Tänzerinnen einen streng symmetrischen und dabei stets verhaltenen Formationstanz aufführen.
Immer wieder gefrieren die Bewegungen zu starren Bildern, die die Blicke der Zuschauer von den disziplinierten Körper-, Hand- und Fußbewegungen zurück zum Gesamtbild führen. Vieles vollzieht sich in der Stille, die Musik schwillt nur in Zitaten auf, und dramatisch wird es allein in der Schlußsekunde, wenn eine Eule, die zuvor von einem Sänger über die Bühne getragen wurde, mit einem spitzen Schrei aus der Kulisse in den Zuschauerraum stürzt.
Die Szenen sind Teil eines dreiteiligen Opernprojekts, das Fabre bis 1992 fertigstellen will. So darf man ihren erzählerischen Gehalt nicht zu stark gewichten. Der Tanz (sowie rituelle Waschungen) vor der Göttin, dem Idol, bleibt vordergründig das, als was er einstudiert ist als ein exakter, rhythmischer Bewegungsablauf in einer ausgewogenen Farbkomposition.
Soviel Ruhe, Konzentration und dabei auch Gelassenheit überfordern bereits manche Zuschauer; sie verließen vorzeitig die einmalige Aufführung. Am Ende setzte sich aber der Beifall (mit einige Bravo-Rufen) gegenüber den Pfiffen und Buh-Rufen durch. Fabre und sein Team haben den Beifall verdient.
20. 6. 1987