Abschied von der Malerei?

Angesprochen auf die Frage, wie es denn die documenta 8 mit er Malerei halte, meinte der künstlerische Leiter der d 8, Manfred Schneckenburger, im Frühjahr bei einer Diskussion, sie werde reichlich zu finden sein; im Museum Fridericianum werde eine „richtige kleine Pinakothek“ eingerichtet. Davon kann nun wirklich keine Rede ein. Die Malerei ist in der documenta 8 so knapp vertreten wie bei keiner ihrer Vorgängerinnen. Die vorhandenen Beispiele dokumentieren eigentlich nur, daß es immer noch auch Maler gibt.

Und folgt man dieser Auswahl, dann schlagen sich die meisten von ihnen mit dem postmodernen
Problem herum, wie heute zu malen sei, nachdem schon alles malerisch ausformuliert ist.

Die schärfste Kritik an Schneckenburgers documenta 6 (1977) entzündete sich an der damaligen Malerei-Abteilung. Doch die war großzügig und vielschichtig im Vergleich zu dem, was nun zu sehen ist. Da das bereits im Vorfeld der d 8 zu ahnen war, zog sich Schneckenburger immer wieder auf folgende Position zurück: Da die von Rudi Fuchs geleitete documenta 7 den Malern Raum im
Übermaß gegeben habe, könne sich die d 8 verstärkt um die anderen künstlerischen Gestaltungsformen kümmern.

Dies könnte man in der Tat als ein (allerdings umstrittenes) Konzept ansehen – daß nämlich die einzelnen documenten nicht isoliert zu betrachten sind, sondern als eine Folge aufeinander reagierender Veranstaltungen, die für sich auch Lücken lassen dürfen.

Jeder documenta-Leitung ist die subjektive Sicht auf die Kunstszene zuzugestehen, ja, sie ist dazu zu ermuntern, wenn die Ausstellung ein Profil erhalten soll. Schneckenburgers Sichtweise heißt in dem Fall, wie er oft genug formuliert hat, „die Kunst nach Beuys und neben Baselitz“ zu zeigen. Doch genau da melden sich sofort Zweifel, denn Beuys ist wieder dabei, Baselitz aber nicht. Noch widersprüchlicher wirkt, daß das Feld neben Baselitz nur äußerst dünn besetzt ist, Die Malerei aber ist nach wie vor innerhalb der Kunst ein zu breiter und lebendiger Bereich, als daß er nur kurz zitiert werden könnte. Hier bereitet die documenta 8 tatsächlich die größte Enttäuschung.

Wer nach malerischen Orientierungspunkten sucht, wird auf einige wenige Werkgruppen verwiesen: Anselm Kiefers gewaltige Endzeit-Malerei verarbeitet nicht nur Erinnerungen an Mythen sowie Untergangsvisionen, sondern sucht auch mit ihrer Collage-Technik (Pappe, Drähte, Keramikscherben, Eisenteile) eine Gegenposition zum glatten Tafelbild. Gerhard Merz löst sich vom Bild und macht den Raum zum Gesamtkunstwerk, in dem sich die Malerei zur Diskussion stellt. Den stärksten Akzent setzt Gerhard Richter, der seine großen, leuchtenden abstrakten Bilder einen Dialog mit einem kleinen realistisch-romantischen Landschaftsgemälde eingehen läßt. Es sind großartige Bilder, die künstlerische Souveränität bezeugen und zugleich den Diskussionsstand der Malerei bewußt machen. Der einzige Schönheitsfehler: Richter stellte sich vor drei Jahren bei „von hier aus“ in Düsseldorf mit einer fast deckungsgleichen Konstellation vor.

Was in dieser Ausstellung fehlt, ist die direkte, zupackende, im ursprünglichen Sinne emotionale Malerei, die es im großen Umfang nach wie vor in immer neuen Schöpfungen gibt. Denn das, was Robert Morris und Robert Longo präsentieren, sind Bildobjekte, die über die Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst nachdenken, die erschreckende und bedrohliche Haltungen zur Diskussion stellen, ohne sie sich voll anzueignen. Auch Mark Tansey und Rob Scholte reflektieren die malerischen Möglichkeiten, wobei Scholte mit seinen Bild-im-Bild-Darstellungen den spielerischen Effekt sucht, während Tanseys einfarbige, in klassischer Manier gestaltete Gemälde die Tradition nachvollziehend aufarbeiten.

Allen Beteuerungen zum Trotz lebt die hier präsentierte Malerei von der Reflexion über die Mittel und Wege dieses Mediums: Kunst über Kunst – auch Namen wie Armleder, Artschwager, Applebroog und Fischl stehen dafür. Ein sehr enges Spektrum. Der Abschied von der Malerei erfolgte etwas vorschnell.

HNA 10. 7. 1987

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