Die Sprache der Gewalt

„All ihr Zombies – Wahrheit im Angesicht Gottes hat Robert Longo seine Bronze-Figur betitelt, die den Mittelpunkt des documenta-Raumes bildet, in dem der Schrecken und der Untergang beschworen werden. Vom ewig kämpfenden Samurai bis hin zum rot und spitz in den Raum ragenden Killersatelliten wird hier die ununterbrochene Reihe der Kampf- und Zerstörungselemente umrissen. Plexiglas, Messing und Aluminium sowie Siebdruck und Lack lassen die Bildelemente kraftvoll und bunt, aber auch glatt erscheinen.

In dem Bronze-Zombie fließen alle Phantasien, die schon Bosch und seine Welt beschäftigten, zusammen – ein menschliches Wesen mit zwei Mäulern, mit Helm und Hörnern, mit Krallen und Drachen-Flossen, aufbäumend und Blitze aus seinem Hintern ausstoßend, bildet dieses Unwesen die Verkörperung aller Schreckensphantasien – ohne wirklich zu erschrecken.

Longo zitiert und parodiert. Seine gewaltige Raum-Installation vermittelt Anstöße und unterhält, eröffnet aber keine neue Dimension des Schreckens. Robert Morris dringt etwas tiefer.
Seine von düsteren Reliefs eingerahmten Bilder führen in die Welt der Vernichtung. Doch die farbig aufgeblähten Relief-Bilder können nicht annähernd jene Wirkung erreichen, die schlichte Dokumentarfotos vom Holocaust vermitteln. Die Vision von der Endzeit wird hier zum ästhetischen Erlebnis, das mehr nach den künstlerischen Mitteln fragen läßt als nach den Inhalten.

Da Manfred Schneckenburger gerade in diesen beiden Beiträgen zur documenta 8 Schlüsselwerke seiner Ausstellung sowie seiner These von der Beschäftigung der Künstler mit Formen der Gewalt, mit negativen Utopien, sah, schlossen zahlreiche Kritiker von der Enttäuschung dieser Arbeiten auf ein Mißlingen der Ausstellung. Hat die documenta 8 ihr Thema verfehlt?

Nein. Man muß auch nicht gewaltsam suchen, um zum Thema vorzudringen. Die Sprache der Gewalt ist tatsächlich ein beherrschendes Thema der documenta 8, wenn auch gelegentlich auf ganz anderen Ebenen, als gemeinhin vermutet wird. Daß Anselm Kiefer in seinen zwischen Mythos und Untergang pendelnden Bildvisionen und Ian Hamilton Finlay mit seinen drastischen Guillotinen im schönen Park ganz unmittelbar die Gedanken an Gewalt und Vernichtung heraufbeschwören, ist unbestritten. Auch sind die Anspielungen auf Terror und Untergang in den Bildern von Ida Applebroog, Juliao Sarmento und Helmut Schober unübersehbar. Wie aber verhält es sich mit den Gemälden Eric Fischls? Strahlen diese Bilder mit ihren alltäglichen, intim-aufdringlichen Szenen nicht mehr Gewalt aus als das großspurige Ensemble von Morris?

Es sind nämlich, wenn man genau hinschaut, gar nicht die Gewaltdarstellungen, die in der documenta 8 die Dimensionen des Schreckens aufschließen, sondern es sind die eher unscheinbaren Formen des Alltags, deren Präsenz erdrückt, die groß und mächtig sind, ohne zugänglich zu werden, die die Erstarrung und Lebensferne bewußt werden lassen.

„Existentia“ nennt Gloria Friedmann ihr Ensemble, ein gebautes Stilleben aus Pfeilern, bestehend aus Wachs, Glas, Milch, Asche, Farbe, Federn, Fell, Granit und Kaolin. Bestandteile des Lebens, fürwahr. Aber erstarrt und gefroren. Eine Existenz ohne Leben. Was bleibt da?

Oder: Der „Zulu‘ von Robin Collyer. Ein Wohnwagen mit abgeflachten Betonrädern, der nicht fahren kann, ein mobiles Gehäuse, das aufdringlich da ist, ohne eingesehen oder eingenommen werden zu können. Gleich daneben die „Sklera‘ von Bogomir Ecker – stilisierte Hornhäute des menschlichen Auges in Riesengefäßen, unfaßbar und unmenschlich. Gewalt und Bedrohung liegen ganz nahe.
HNA 15. 8. 1987

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