Im Brennpunkt der Sonnen

Auf dem Rasen des Kasseler Friedrichsplatzes, leicht vom Platzzentrum entfernt, ist aus kleinen weißen Steinen ein Achteck (Oktogon) gepflastert. Diese Pflasterung, die die magische Zahl 8 dieser documenta aufnimmt, ist Teil einer Arbeit der 1943 in Görlitz geborenen und in Kalifornien lebenden Künstlerin Maria Nordman. Den anderen Teil bilden zwei Spiegel, die oben an den beiden Außenkanten des Museums Fridericianum angebracht sind. „Stadtgespräche“ nennt Maria Nordman diesen stillen documenta-Beitrag.

Lange Zeit blieb diese Arbeit sprachlos. Versuche, von dem Oktogon aus Beziehungen zu den Spiegeln herzustellen, waren oft erfolglos. Die Spiegel fingen meist beziehungslose Himmelausschnitte ein. Die vielen Wolkentage brachten die Arbeit um ihre Wirkung.

Jetzt sind, dem Lauf der Sonne folgend, die Spiegel neu eingestellt, so daß an den Sonnentagen zur späten Mittagszeit tatsächlich Maria Nordmans Beitrag funktioniert: Stellt man sich jetzt gegen 13.20 Uhr auf das Achteck, dann steht man plötzlich im Strahlen-Schnittpunkt dreier Sonnen – der
wahren Sonne, die man schräg im Rücken, hat, und der beiden von den Spiegeln reflektierten
Sonnen. Die „Stadtgespräche“ mit dem Licht können beginnen.

Das Fridericianum wird zum Lichtspender, es streckt bis weit auf den Platz seine Fühler aus. Ein Dreieck aus Licht entsteht, das ein Gegenstück zum abendlichen Laser-Environment bildet.
Maria Nordman ist eine Künstlerin des Lichts. Sie definiert und strukturiert die Räume durch das Licht neu, wobei sie stets die bescheidenen und unaufwendigen (daher leicht übersehbaren) Mittel benutzt. Ihr Beitrag zur documenta 6 war dementsprechend nur von einem kleinen Besucherkreis wahrgenommen worden. Sie hatte einen Ladenraum in der Frankfurter Straße in Kassel verdunkelt und ihm lediglich durch das Licht, das durch die zwei Eingangstüren fiel, Gestalt gegeben.

HNA 4. 9. 1987

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