Zu den Quellen des Lebens

Am 20. September, am Schlußtag der documenta 8, soll im Museum Fridericianum Wolfgang Laib als achter Künst1er den mit 15 000 Mark dotierten Kassseler Arnold-Bode-Preis erhalten. Damit wird ein außergewöhnliches und in sich äußerst konsequentes künstlerisches Werk gewürdigt.

Laib (Jahrgang 1950) hatte an der documenta 7 mit Blütenstaub-Arbeiten teilgenommen. Für diese documenta hat er mit seinen Reishäusern einen der stillsten Räume gestaltet, der mit den benachbarten düsteren Riesenformaten von Anselm Kiefer, einen spannungsreichen Dialog eingeht.
Die leuchtenden Blütenstaub-Bilder, die Laib ausbreitete, seine ausgeschliffenen Marmorplatten, die er mit Milch füllte, oder seine Reishäuser aus Marmor oder Holz und Briefsiegel sind aus sich heraus schöne Objekte.

Wolfgang Laibs Schaffen aber gründet erst in zweiter Linie auf ästhetischen Prinzipien. Dem Künstler geht es um mehr. Er will zu den Quellen des Lebens zurückzufinden, zu den Stoffen, die den Körper und den Geist speisen. Dabei nähert er sich diesen Quellen und Mythen nicht nur denkend an, sondern durch Lebenspraxis. Die lustvolle Arbeit in der Zeit, das langwierige Sammeln des Blütenstaubs und das Ausschleifen einer Marmorplatte, sind nicht Voraussetzung, sondern existenzieller Bestandteil seines Lebens und seiner Kunst.

Indem Laib einen Weg suchte, aus der hektischen, arbeitsteiligen und entfremdeten Welt auszubrechen, fand er zu einem Leben in und mit der Natur sowie mit den Mythen zurück. Die Kunst gab ihm dabei den Rahmen, in dem er diesen Lebensvollzug dokumentieren kann. Wenn er in einer Ausstellung auf dem Boden ein Bild aus Blütenstaub ausbreitet, dann tut er es nicht, um mit der Malerei zu konkurrieren, sondern um die mühsam eingefangene Fülle und Schönheit der Natur (und ihrer Lebenskräfte) auszubreiten.

Im Blütenstaub ruhen die Kräfte der sich fortpflanzenden Natur. Die Milch ist Grundnahrung menschlichen Lebens. Und der Reis gilt nicht nur als Fruchtbarkeitssymbol, sondern ist auch Volksspeise eines Großteils der Menschheit. Mit seinen flachen, langgestreckten Reishäusern aus Holz und Siegellack oder weißem Marmor schlägt Laib eine Brücke zwischen den christlichen Reliquienschreinen und der indonesischen Ahnenverehrung. Im mit Reis gefüllten oder umstreuten Haus treffen sich Leben und Tod.

HNA 27. 6. 1987

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