Wandert Sammlung Herbig Ende 1997 ab?

Der Neuen Galerie in Kassel droht zum Ende des nächsten Jahres ein empfindlicher Verlust. Barbara Herbig will den Leihvertrag für ihre 1976 nach Kassel gegebene Sammlung mit Kunstwerken der 60er Jahre nicht ein weiteres Mal verlängern. Bleibt es beim Entschluß der Münchnerin, die gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Jost Herbig die Werke angekauft hatte, verliert die Neue Galerie wesentliche Werke der Nachkriegszeit. Besonders schmerzlich dürfte der Verzicht auf den Raum mit den poetischen Arbeiten von Marcel Broodthaers sein, der auch bei der kommenden documenta eine Schlüsselfigur sein wird. Aber auch Künstler wie Palermo, Diter Rot, Penck und Baselitz wären danach nicht mehr in der Neuen Galerie vertreten. Über viele Jahre war die Neue Galerie eines der wenigen deutschen Museen, die Georg Baselitz repräsentativ vorstellen konnten. Nun müßte er ganz aus der Liste der Kasseler Gemäldesammlung gestrichen werden. Auch würden wichtige Werke von Richard Tuttle, Gerhard Richter (,‚Seestück‘), Sigmar Polke und Claes Oldenburg abwandern.

Die Leiterin der Neuen Galerie, Marianne Heinz, sieht, wie sie auf Anfrage erklärte, kaum noch Verhandlungsspielraum. Zwar sei noch nicht klar, wohin Frau Herbig ihre Sammlung geben wolle, doch gebe es kaum noch Hoffnung auf eine weitere Vertragsverlängerung. Die Sammlung Herbig war
1976 gemeinsam mit der Sammlung Krätz zur Eröffnung der Neuen Galerie nach Kassel gekommen. Das Museum, das die Kunst seit 1750 dokumentiert, hatte damals über keine nennenswerten Bestände an Kunst der 60er und 70er Jahre verfügt. Aus der Sammlung Krätz waren einige zentrale Werke von Polke, Hödicke und Oldenburg für die Neue Galerie angekauft worden, bevor diese 1991 in New York versteigert wurde. Aus der Sammlung Herbig wurde unter spektakulären Umständen der Beuys-Raum für 16 Millionen Mark angekauft. Dieser Ankauf hatte die schon 1992 drohende Abwanderung der Sammlung verhindern können.

Den Wert der Sammlung, die jetzt abzuwandern droht, schätzt Marianne Heinz auf 16 Millionen Mark. Für die Museumsleiterin wäre die Verlagerung der Sammlung (möglicherweise nach München) ein herber Verlust. Allerdings stünde danach die Neue Galerie nicht mit leeren Händen da. Die Ankäufe der letzten 20 Jahre – insbesondere aus den documenten – hätten, so Marianne Heinz, der Neuen Galerie zu einem ansehnlichen Bestand an zeitgenössischer Kunst verholfen. Doch sei es nun um so dringlicher, Ankäufe aus der documenta X sicherzustellen.

Von auswärtigen Beobachtern wird die Nichtverlängerung des Leihvertrages als ein kulturpolitisches Warnsignal verstanden: Man müsse ernsthaft prüfen, welchen Stellenwert die Kasseler Museen im besonderen und die hessischen Museen im allgemeinen für Sammler und Leihgeber hätten.

HNA 15. 7. 1996

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