Vor dem Neuanfang steht das vorläufige Ende: Die 1976 als Museum für die Kunst des 18. bis 20. Jahrhunderts eröffnete Neue Galerie in Kassel schließt am 2. Oktober, weil sie komplett saniert und umgebaut werden soll. Die Handwerker werden aber erst im Herbst nächsten Jahres in das Gebäude an der Schönen Aussicht einziehen, weil es im kommenden Sommer der documenta 12 als zweiter großer Ausstellungsort zur Verfügung stehen soll.
So besteht nur noch für wenige Tage die Möglichkeit, die Sammlung der Neuen Galerie zu besichtigen. Allerdings ist lediglich ein Teil zu sehen, da nach dem Ende der großen Tischbein-Ausstellung im Frühjahr das erste Obergeschoss geschlossen blieb.
Die Neue Galerie hat nach 30 Jahren eine Auffrischung bitter nötig. Für 16 Millionen Euro sollen bis 2008/09 das Glasdach erneuert, eine dringend notwendige Klimaanlage eingebaut, das Treppenhaus verlegt und die Raumabfolge verändert werden. Durch die Sanierung sollen die musealen Bedingungen verbessert werden. Gleichzeitig soll die Attraktivität der Neuen Galerie gesteigert werden, die trotz ihrer bemerkenswerten Bestände in manchen Jahren nur auf 12 000 bis 15000 Besucher kam.
Die Umgestaltung ist Teil des Projekts Museumslandschaft Kassel, für das das Land Hessen rund 200 Millionen Euro aufwenden will. Ursprünglich war daran gedacht worden, die Neue Galerie auch
inhaltlich anders auszurichten und beispielsweise die Kunst des 18. und 19.Jahrhunderts auszulagern, um sie ganz zu einem Kunstmuseum der Moderne umzugestalten. Auch war von einem Anbau für eine Ausstellungshalle die Rede. Die Anbaupläne wurden aus finanziellen Gründen zurückgestellt. Auch hat sich die Museumsleitung entschieden, an der bisherigen Konzeption festzuhalten. Lediglich die höfische Malerei des 18.Jahrhunderts (mit den Werken der Tischbein-Familie) soll ins Schloss Wilhelmshöhe umziehen.
Einige Gemälde von Johann Heinrich Tischbein sollen allerdings weiterhin in der Neuen Galerie gezeigt werden, weil dieser Maler für den Beginn der Kasseler Kunstakademie steht, deren über 200- jährige Entwicklung durch zahlreiche andere Künstler repräsentiert wird.
So wird die Neue Galerie bei der Wiedereröffnung mit Tischbein beginnend die Malerei des 19. Jahrhunderts zeigen, dann folgen als Sonderkomplex die Willingshäuser Malerkolonie, der Übergang vom Impressionismus zum Expressionismus (Liebermann, Corinth), die Vorkriegsmoderne sowie die Kunst der 50er-Jahre (auch mit Skulpturen) sowie die documenta-Kunst.
Die Neue Galerie steht vor dem Problem, dass sehr unterschiedliche Sammlungskonzepte unter einen Hut zu bringen sind: Anknüpfend an Tischbein soll sie die Entwicklung der Akademie (Kunst- hochschule) spiegeln; und da sie auch die städtischen mit den staatlichen Sammlungen in sich vereinigt, ist sie der regionalen Kunst verpflichtet.
Daneben ist unter Verantwortung von Sammlungsleiterin Marianne Heinz die konkrete Malerei als ein Schwerpunkt ausgebaut worden. Und schließlich soll sie Ankäufe aus der documenta aufnehmen. Weder räumlich noch finanziell noch konzeptionell kann die Galerie allen Zielen gerecht werden. Dominierend ist im Moment die Ausrichtung auf die konkrete Malerei. Dies aber wird sich auf Dauer nicht halten lassen, da in der aktuellen Kunst mit ganz anderen Materialien und Medien gearbeitet wird.
Kommentar
Am Anfang stand eine große Vision. Die Neue Galerie, so wurde vor drei Jahren geträumt, solle zu einem Museum der Moderne mit Schwerpunkt documenta werden. Damit sollte auch ein Aufbruchsignal für die Innenstadt gegeben werden. Diese Vision ist verflogen. Die Neue Galerie soll, was ihre Sammlung angeht, weitgehend bleiben, wie sie ist.
Wenn Kassel aber die documenta-Qualität museal untermauern will, ist die Basis der Neuen Galerie zu schmal. Das heißt: Bleibt das Galerie-Konzept, muss nach einem anderen Fundament für die zeitgenössische Kunst gesucht werden. Da große Ankäufe nicht denkbar sind, müsste ein Grundbestand mit Hilfe von Privatsammlungen geschaffen werden. Es müsste auch nicht gleich ein neues Museum entstehen: In Anbindung an die Kunsthalle könnte im 2. Stock des Fridericianums, wie von René Block vorgeschlagen, ein Anfang gemacht werden.
HNA 23. 9. 2006