Kunst der Welt und der Region

In Vorbereitung auf die 2. Kasseler Museumsnacht am 9. September stellen wir die beteiligten Ausstellungsorte vor. Heute steht die Neue Galerie im Mittelpunkt, die die Kunst seit 1750 präsentiert.

Kein zweites Kasse1er Museum ist derart in Bewegung wie die Neue Galerie. Immer wieder wurden Änderungen in der Präsentation notwendig: Mal wurden größere Leihgabenkomplexe abgezogen, dann wieder streckten documenta-Macher ihre Hand nach den Räumen des Museums aus. Zuletzt musste die Neue Galerie Platz schaffen, um den Gemälden der Niederländer und Flamen wegen des Umbaus von Schloss Wilhelmshöhe Zuflucht zu gewähren.

Diese Zeit des Übergangs ist erst einmal überstanden. Die Leiterin der Neuen Galerie, Dr. Marianne Heinz, und ihr Team konnten daran gehen, die Sammlung neu zu ordnen – möglicherweise bis zur nächsten documenta. Das heißt für die Museumsbesucher, die die Bilder und Skulpturen der Neuen Galerie lieben, dass sich ein erneuter Besuch lohnt, weil man durchaus Neuentdeckungen machen kann.
Die Grundstruktur ist natürlich geblieben: Die Neue Galerie ist das Museum, das die lokale und regionale Kunst seit Gründung der Kasseler Akademie (1777) spiegelt. Dementsprechend beginnt im Erdgeschoss der Rundgang (auf der Stadtseite) mit vier Kabinetten und Sälen der Malerfamilie Tisch- bein, wobei Johann Heinrich Tischbein d. Ältere sowohl für die traditionelle Hofmalerei als auch für den beginnenden Akademiebetrieb steht.

Auch im weiteren Verlauf bleibt im Erdgeschoss der regionale Bezug bestimmend – wenn man an die Räume mit den Werken der Künstlerfamilie Nahl, an das Biedermeier-Zimmer mit den vorzüglichen Porträts, Kinder- und Familienbildern von August von der Embde oder an die Bilder von Louis Kolitz
denkt.

Ende September wird es allerdings in dem Auegang der Galerie starke Veränderungen geben, weil das Museum dann dem Maler Johann Martin von Rohden (von dem die Neue Galerie eine Bildserie der vier Tageszeiten besitzt) eine umfangreiche Ausstellung widmen wird.

Die stärksten Veränderungen hat es nach dem Auszug der Alten Meister im Obergeschoss gegeben
Vor allem in dem Gang auf der Stadtseite sind neue Akzente gesetzt worden. Nach drei Kabinetten mit Landschaften und Genrebildern der Münchner Malerei, die wie ein Vorspiel wirken, gibt es eine Folge von kleinen Höhepunkten: In Kabinett vier stößt man auf Bilder der französischen Malerei mit Werken von Gustave Courbet und Pierre Henry de Valenciennes, dann folgen Räume mit Gemälden von Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus und Johann Wilhelm Schirmer, danach gelangt man zu zwei schönen Spitzweg-Bildern und der beachtlichen Neuerwerbung von Fritz Bamberger (Blick auf den Escorial). Den krönenden Abschluss bilden auf dieser Seite zwei Räume mit den Bildern der Willingshäuser Malerschule, in denen natürlich Carl Bantzer die Hauptrolle zufällt.

Da, wo im Obergeschoss bis zum Frühjahr die Alten Meister hingen, ist im Grunde die alte Ordnung wieder hergestellt: Man gelangt aus dem Raum der internationalen Moderne (Schwerpunkte: documenta-Kunstwerke sowie konkrete Malerei) zur informellen und abstrakten Kunst der 50er-Jahre, um dann tiefer in die Vergangenheit zu Slevogt, Corinth, Liebermann, Paul Baum und Curt Herrmann vorzudringen. Der letzte Raum, in dem sich Neo-Impressionisten Baum und Herrmann treffen, ist besonders schön geworden, weil sich dort ein Kreis schließt: Ausgehend von Eugen Brachts „Hannibals Grab“,das zu Recht eine Schlüsselposition erhielt, wird deutlich, wie sich Baum und Herrmann aus kontroversen traditionellen Haltungen zu Seelenverwandten entwickelten.

Dass die Neue Galerie auch ein Museum der Moderne ist, signalisieren schon im Erdgeschoss nicht nur die Wechselausstellungen (derzeit: Künstlerbildnisse von Barbara Klemm), sondern auch die beiden Räume von Joseph Beuys und Ulrike Grossarth sowie die Beuys-Porträts von Warhol und das Bode-Bild von Gerhard Richter.

HNA 22. 7. 2000

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