Herausforderung

Obwohl sie ganz unterschiedlich angelegt sind, wurden sie immer wieder aneinander gemessen: die Biennale, die im Zwei-Jahres- Rhythmus in Venedig stattfindet, und die documenta, die erst alle vier und nun alle fünf Jahre die Kunstwelt nach Kassel lockt. Der Wettstreit ging in den letzten Jahren häufig zugunsten der Kasseler Kunstschau aus. Seit der großen Rückschau auf die Kunst der 70er Jahre, die sich 1980 mit einem treffsicheren Ausblick auf die junge Generation der 80er Jahre verband, hatte die venezianische Ausstellung – außer in einigen nationalen Pavillons – keine zündenden Beiträge mehr zur aktuellen Kunstdiskussion geliefert.

Trotzdem ist die Position der documenta nicht fester geworden. Einerseits gerät sie zunehmend unter Druck durch andere Großausstellungen mit ähnlicher Zielrichtung und andererseits entließ die vorige documenta ihrer Besucher etwas ratlos m Blick auf die Avantgarde-Diskussion. Wenn sich nun die Biennale mit dem Anspruch zurückmeldet, eine neue internationale Avantgarde zu präsentieren, dann kann sich hier wirklich eine entscheidende Herausforderung für die documenta ergeben. Sofort fragt man: Was hat möglicherweise die documenta 8 übersehen?

Das Gefühl, immer noch als Maßstab für aktuelle Kunstausstellungen zu gelten, darf der documenta nicht mehr genug sein. Wenn in diesem Jahr der nächste documenta-Leiter ausgeguckt wird, kann es nicht genügen, einen guten Ausstellungsmacher zu benennen. Erst muß man wissen, wo überhaupt die Zukunft der documenta liegen soll, Im bloßen Wettlauf um die junge Kunst kann man sie wohl nicht sehen.

HNA 24. 3. 1988

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