Jan Hoet leitet die documenta 9

Der belgische Ausstellungsmacher Jan Hoet (52) ist zum neuen künstlerischen Leiter der nächsten documenta in Kassel berufen worden. Hoet, derzeit Direktor des Museums für Gegenwartskunst in Gent, will sich Mitte April beurlauben lassen, um dann die für den Sommer 1992 angesetzte documenta 9 vorbereiten zu können. Ihm schwebt ein kompromißloses Ausstellungsprogramm vor, in dem neben der zeitgenössischen westeuropäischen Kunst auch die Kunst Amerikas, der Dritten Welt und Osteuropas gespiegelt wird – soweit sie von internationalem Rang ist.

Kompromißlos gab sich Hoet gestern unmittelbar nach seiner Berufung durch den documenta-Aufsichtsrat vor der Presse auch in der Raumfrage: Er fordert für die documenta neben dem Museum Fridericianum und der versprochenen hohen Halle die gesamte Neue Galerie als dritten Ausstellungsort. Als finanzieller Rahmen für die documenta 9 steht ein Etat von 9,35 Millionen Mark zur Verfügung. Zugleich mit Hoet wurde Alexander Farenholtz (34), persönlicher Referent des Oberbürgermeisters der Stadt Pforzheim, zum neuen Geschäftsführer der documenta und der mit ihr verbundenen Ausstellungsgesellschaft berufen.

HNA 22. 1. 1989

Mit ganz neuem Schwung

„Die documenta war für mich einer der wichtigsten Träume“, bekennt Jan Hoet freimütig. Nun ist der Traum in Erfüllung gegangen und Hoet träumt nicht mehr, sondern ist energiegeladen und geradezu heiß darauf, mit der Planung anzufangen. Aber nicht nur Hoet strahlte gestern, als er sich in Kassel der Presse stellte.

Auch die Mitglieder des documenta-Aufsichtsrates waren lange nicht mehr so einheitlich positiv gestimmt gewesen: In einem relativ schnellen Findungsverfahren wurde aus einem Kreis von ursprünglich vier Kandidatinnen und vier Kandidaten schließlich der Mann ausgesucht der Energie, Phantasie und eine sinnliche documenta versprach.

Sowohl die sechsköpfige Findungskommission als auch der gleich anschließend tagende Aufsichtsrat konnten sich einstimmig auf Jan Hoet festlegen. Nicht weniger froh waren die Verantwortlichen darüber, daß gleichzeitig die einstimmige Wahl des documenta-Geschäftsführers gelang: Der aus Helmstedt stammende und derzeit in Pforzheim wirkende Verwaltungswissenschaftler Alexander Farenholtz wurde in das Amt berufen, dem auch Projekt- und Sonderaufgaben zugewiesen werden sollen.

Hoet wurde schon lange in Kassel als aussichtsreicher Kandidat für die documenta-Leitung gehandelt. Der aus Leuven stammende Kunsthistoriker war 1970 zum Professor ernannt und
1975 zum Direktor des Museums für Gegenwartskunst in Gent berufen worden; er hatte zuletzt 1986 mit der Ausstellung „Chambres d’amis“ (Zimmer der Freunde) auf sich aufmerksam gemacht, bei der er die Beiträge der Künstler in über Gent verstreuten Privatwohnungen installieren ließ.

Für Anfang der 90er Jahre hat Hoet eine weitere außergewöhnliche Schau in Arbeit: Er will entlang der alten Eisenbahnlinie London – Köln in den Städten, die von der Bahn berührt werden, Teile einer Gesamtausstellung realisieren. Dieses Vorhaben hat Hoet nun auf die Zeit nach 1992 verschoben.

Zur documenta 9 hat Hoet ganz klare räumliche Vorstellungen: Neben dem Museum Fridericianum setzt er auf die versprochene hohe Halle, die seiner Meinung nach aber eher zur Aue hin als im Schatten des Fridericianums erbaut werden sollte. Als dritte Bedingung verlangt er (wie schon seinerzeit Harald Szeemann), für die documenta die Neue Galerie völlig auszuräumen. Nur dann lasse sich die documenta als ein großes Drama entwickeln. Immerhin ist es in anderen Städten durchaus Brauch, daß selbst berühmte Museumssammlungen für bestimmte Großausstellungen ausgeräumt werden.

In Einzelfragen wollte Hoet sich noch nicht festlegen. Er skizzierte lediglich einige Grundgedanken: Die Spannung der Ausstellung soll aus der Beziehung von Künstler – Bild – Betrachter entstehen. Die documenta soll sich von innen nach außen entwickeln – innen müsse sie eine solche Dynamik entfalten, daß diese außen spürbar werde. Außerdem sei es wichtig, daß die Kunst ihren Weg durch die Stadt mache. Insofern gewinne die Frage nach dem Standort der zu erbauenden documenta-Halle an Bedeutung.

HNA 22. 1. 1989

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