Neun Künstler als Plattform

Vor einem Jahr hielt der Genter Museumsdirektor Jan Hoet im Kasse1er Kunstverein einen Vortrag
über den Sinn und Unsinn von Großausstellungen. Mittlerweile ist Hoet durch seine Berufung zum
künstlerischen Leiter der documenta 9 (1992) selbst zum Organisator einer Großausstellung berufen worden.

Obwohl sich in diesem Frühjahr, ausgelöst durch Projekte wie „Bilderstreit“ (Köln), „Prospect 89“ (Frankfurt) und „Neue Figuration“ (Düsseldorf), die Zweifel am Sinn von Großausstellungen verstärkt haben, kann Jan Hoet mit Zuversicht an die Vorbereitungen der documenta herangehen: Lange nicht mehr hat die Berufung eines documenta-Leiters einen derart einhelligen Beifall in der Fachwelt hervorgerufen. Verstärkt wurde dieses positive Echo durch Hoets jüngste große Ausstellung („Open mmd“), die er in seinem Genter Museum organisierte. In ihr stellt er die Kunst dieses Jahrhunderts als das überragende Element zwischen den Polen Klassizismus und Bildwelten der Geisteskranken zur Diskussion. Es handelt sich dabei bislang um die einzige Großausstellung in diesem Jahr, die wirklich überzeugt.

Berühmt wurde Hoet durch seine Ausstellung „Chambres d‘amis“, bei der er Arbeiten internationaler Künstler in Wohnungen von Genter Kunstfreunden installieren ließ. Hoet denkt nicht daran, zur documenta 9 eine Neuauflage dieser Idee zu versuchen, doch er will ein Stück von ihr retten: Seine Forderung, die Neue Galerie in Kassel für die documenta auszuräumen, hat er fallengelassen. Stattdessen will er in Absprache mit der Museumsleitung fünf bis zehn Künstler einladen, sich innerhalb der Neuen Galerie einen Raum zu suchen, in dem diese in Korrespondenz oder Widerspruch zu den dort gezeigten Werken ihre eigenen Projekte entwickeln. Ein ähnliches Konzept könnte sich Hoet für das Museum für Sepulkralkultur vorstellen, vorausgesetzt, es wäre bis dahin fertig und weitgehend eingerichtet.

Jetzt steht auch fest, mit wem Hoet in den nächsten drei Jahren die Künstlerauswahl treffen will. Als engste Mitarbeiter hat er Denys Sacharopoulos (Griechenland), Pierre Luigi Tazzi (Italien) und Bart de Baere (Belien) berufen. Beratend sollen Franz Meyer (Basel), Katharina Schmidt (Kunstmuseum Bonn) und Carl Haenlein (Kestner-Gesellschaft Hannover) sowie Glenda Richardson (USA) und der Franzose Caussout mitwirken.

Jan Hoet ist von seiner Ursprungsidee abgekommen, die documenta 9 um einen Künstler zu gruppieren. Damit der Starkult um einen Künstler vermieden wird, will er nun eine Gruppe von neun Künstlern auswählen, die als Plattform (Maßstab) für die weitere Auswahl dienen sollen.

HNA 16. 6. 1989

Schreibe einen Kommentar