Als Kunst anerkannt

„Nach Lage der Dinge freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, daß sich die o. a. Angelegenheit erledigt hat.“ Kurz bevor gestern um 11.30 Uhr unter lautem Beifall der erste leseleichte documenta-Katalog in Form eines Kissens verkauft wurde, hatte documenta-Geschäftsführer Alexander Farenholtz die Akteure in einem Brief wissen lassen, daß der rechtswidrige Akt keiner mehr sei.

Strahlende Gesichter also und Triumphgefühl. Das satirische Geschoß hatte exakt sein Ziel erreicht. Die Verwaltung der größten und angesehensten Kunstausstellung der Welt war gerade auf dem Feld als unsensibel entlarvt worden, das ganz dicht an die von ihr beanspruchte und verteidigte Kunstzone grenzt.

Trotzdem war bei der gestrigen Siegesfeier die Luft raus. Es gab sogar Spuren von Enttäuschung. Wo war die alles verhindernde Staatsmacht geblieben? Die Kamerateams verzogen sich bald.
Im vorigen Monat noch hatte die documenta-Gesellschaft unter Androhung einer Vertragsstrafe den Vertrieb des documenta-Kissens untersagt. Annemarie Burckhardt, der Verleger
Martin Schmitz und das herstellende Stoffgeschäft sollten sich verpflichten, für ihr Objekt nicht mehr den Namen der documenta zu benutzen. Als Frist für den Eingang der „Unterlassungsverpflichtungserklärung“ war der gestrige 7. Dezember gesetzt worden.

Als nun aber nach kritischen Presseberichten vorgestern noch eine Anzeige in unserer Zeitung erschien, die zum öffentlichen (Ver-)Kauf des Katalog-Kissens einlud, da platzte der Knoten. Farenholtz suchte sein Heil im Rückzug, um nicht noch Schlimmeres zu verursachen.

Jetzt aber haben es die Kissen-Schöpfer schriftlich: Der documenta-Geschäftsführer ist „mittlerweile zu der festen Uberzeugung gelangt, daß Sie das Kissen als Kunstwerk verstehen und behandeln.“ Wann wird das schon einem Künstler bescheinigt?

P.S.: In Erwartung einer nun rechtlich zulässigen und starken Nachfrage nach dem d9-Kissen sollen bald Bastelsets zum Selbernähen angeboten werden. Dieser weiche Katalog zur documenta 9 ist also doch nichts für Bequeme.

HNA 8. 12. 1990

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