Ein Kissen hat die documenta-Geselischaft in Unruhe versetzt. Das, was als satirischer Beitrag zum Kunstbetrieb gedacht war, geriet zwischen die Mühlen juristischer Schriftsätze und provozierte ganz ungewollt Realsatire: Annemarie Burckhardt und Martin Schmitz wurde unter Androhung eines Gerichtsverfahrens und einer Vertragsstrafe in Höhe von 2000 DM untersagt, ein Kissen im DIN-A4-Format anzupreisen und zu verkaufen (Preis 45,90 Mark), auf das die Aufschrift Katalog documenta IX gestickt ist.
Für alle, die sich ein wenig im Ausstellungswesen auskennen, ist Annemarie Burckhardts Idee faszinierend: Immer mehr auch nur mittelgroße und mittelmäßige Ausstellungen versuchen, sich durch pfund- und kiloschwere Kataloge hervorzutun und in die Kunstgeschichte hineinzuschmuggeln. Je schwerer der Katalog, desto gewichtiger das Unternehmen? Folglich müssen viele Besucher, die sich mit dem Katalog nur schmücken wollen, lange abschleppen, bevor sie das rettende Auto erreichen, in dem auf der Rückbank das Dokument seinen dekorativen Platz findet.
Gerade für jene bot der zur documenta 9 vorempfundene Kissenkatalog eine schöne Alternative an: Das documenta-Kissen zeugt von Kunstinteresse, ist leicht und muß nicht auch noch gelesen werden. Außerdem kann dieser Katalog nach erschöpfenden Rundgängen als Ruhekissen benutzt werden. Eine Allzweckkunstwaffe also.
Da nicht anzunehmen ist, daß die documenta ihren richtigen Katalog in ähnlicher Form als Soft-art-Objekt geplant hat, muß man fragen, was die documenta-Gesellschaft bewog, gleich per Rechtsanwalt eine Untenlassungsverpflichtungserklärung zu verlangen und eine Vertragsstrafe anzudrohen? Schädigt der Kissenkatalog den Ruf der documenta, wird hier der Name mißbraucht oder droht dem 10-Millionen-Etat der documenta ein Defizit, wenn das Objekt in einer geplanten Auflage von 20 Stück auf den Markt kommt?
Würde es zum Rechtsstreit kommen, hätte die Fachpresse wieder ihre schöne Kassel-Geschichte. Und für das satirische Kissenobjekt wäre eine verkaufte Auflage in Höhe einiger hundert Stück garantiert.
HNA 29. 11. 1990