In Jan Hoets Labyrinth

Die Einladung des Verkehrsvereins war vielversprechend: Jan Hoet, der künstlerische Leiter der documenta 9, so war in dem Schreiben zu lesen, würde vor einem ausgewählten kunstinteressierten Personenkreis über seine Konzeption und Vorbereitungen berichten. Von Spektakulärem, das man 1992 erwarten könne, war da die Rede. Jan Hoet, so war zu erwarten, würde den Vorhang lüften, um eine Ahnung von seiner Ausstellungs-Inszenierung zu vermitteln.

Wahrscheinlich haben am Ende des Abends viele der rund 400 Gäste nach Hoets Vortrag zum Thema „Die documenta – ein Labyrinth?“ irritiert oder gar enttäuscht die Autohalle von Mercedes-Benz verlassen. Sollte das das Konzept für die documenta 9 gewesen sein? Wenn ja, dann würde diese Ausstellung wirklich zu einem Labyrinth werden, in dem man sich nur verlaufen kann.

Nein, das war nicht das Konzept, sollte es auch nicht sein. Wer Jan Hoet kennt und seine
Methoden, sich der documenta zu nähern, der weiß, daß der documenta-Leiter nicht mit Konzepten hausieren geht. Die Ausstellung soll ein Konzept suggerieren, so verkündete er, aber kein Konzept sein. Schließlich gibt es ja genügend Ausstellungen, die eigentlich nur aus Konzepten bestehen.

Genau das will Hoet aber nicht. So steht für ihn vorläufig nur ein Grundsatz fest: Die nächste documenta soll eine Ausstellung der Künstler werden.

Warum dann aber der wort- und bilderreiche Vortrag? Nun, Hoet hat eine eigene Art entwickelt, die Voraussetzungen und Bedingungen darzustellen, unter denen er seine documenta 9 umsetzt: Er läßt das Publikum, vor dem er spricht, teilhaben an seinen Erfahrungen beim Umgang mit Kunst. Er führt alte Meisterwerke vor, die ihn beeindrucken, erinnert an frühere (ihm wichtige) documenta-Beiträge und entführt schließlich zu einem Spaziergang durch Künstlerateliers rund um die Welt.

Wenn Hoet von der Dritten Welt, von den Minderheiten-Problemen, von Ökologie und Ökonomie spricht, wenn er afrikanische und lateinamerikanische Künstler vorstellt oder über die Schwierigkeiten redet, Kunst in Diktaturen zu machen, dann versucht man natürlich immer wieder herauszuhören, wer und was davon in zwei Jahren in Kassel zu sehen sein könnte. Doch solche detektivischen Versuche sind zum Scheitern verurteilt. Hoet will lediglich das Labyrinth Kunst sichtbar werden lassen, aus dem die documenta herauszulösen ist.

Der Abend hatte viel, sehr viel mit documenta zu tun. Nur ließ sich Hoet alle Türen offen. Eine schöne Ausstellung zu machen, so bekannte er, wäre leicht. Hoet will aber mehr, er will herausfordern.

HNA 13. 9. 1990

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