Kunst – mitten im Leben

Zur documenta 8 (1987) entwickelte der Bildhauer Heinrich Brummack (Jahrgang 1936) den Plan, in der Karlsaue jahreszeitliche Skulpturen aufzustellen. Wie die Natur sich im Laufe eines Jahres wandelt, wie die Bäume grünen und wachsen, um dann im Herbst ihr Laub wieder abzuwerfen, so wollte Brummack Skulpturen aufstellen, die sich verändern.

Also errichtete er am Rand der Karlswiese zwei Säulen, über die er ein asiatisch wirkendes Zeltdach spannte. In seiner hintergründig-humoristischen Art gab er ihr den Namen „Eine Skulptur, die heiratet“. Durch das Zeltdach, so stellte er sich vor, würde das Säulenpaar miteinander verbunden. Im Winter dann sollte das Zeltdach eingerollt werden und die beiden Säulen als Zeichen stehen bleiben.

Das Modell dieser Skulptur ist in der Neuen Galerie in Kassel zu sehen, die noch bis zum
15. September ihre „documenta Erwerbungen“ in einer Sonderausstellung zeigt. Die Idee, eine der feierlich und gleichzeitig heiter wirkenden Skulpturen für Kassel anzukaufen, gab es damals nicht.

Aber wenig später, als es darum ging, dem Wehlheider Marktplatz an der Ecke Kirchweg/Wilhelmshöher Allee eine neue Gestalt zu geben, kam man auf Brummack zurück. Wie fast immer bei solchen Projekten gab es Widerstände zu überwinden. Doch Brummack erhielt tatsächlich den Zuschlag, und seine Brunnenskulptur ist heute ein beliebtes und versöhnliches Symbol des kleinen Platzes, auf dem freitags die Stände des Wochenmarktes stehen.

Auch dort errichtete Brummack zwei Säulen. Auf ihnen leuchten zwei große vergoldete Birnen. Sie künden von dem regelmäßigen Marktgeschehen. Zum Markt passt auch der Brunnen: Da steht zwischen den Säulen auf einem runden Steintisch ein überdimensionierter roter Emailtopf. Es ist der wohl einzige Topf, der beständig überkocht, ohne anzubrennen: Aus ihm sprudelt lebhaft das Wasser heraus.

Wenn kein Markt ist, wirkt die Brunnenskulptur natürlich stärker. Aber wenn dort Obst und Gemüse verkauft werden, scheint die künstlerische Arbeit ganz dazu zu gehören. Auch dieses Werk hat Heinrich Brummack jahreszeitlich gestaltet: Wenn in der kalten Winterzeit der Brunnen abgestellt wird, kommt ein Deckel auf den Topf. Dann sieht die Skulptur wieder völlig anders aus.

Heinrich Brummack hat also ein wenig von dem documenta-Geist der 80er-Jahre in den Stadtteil gebracht. Der Künst1er, der etwas Urwüchsiges hat, will Skulptur und Natur zusammenbringen. Dabei schafft er es immer wieder, seine mit großer Geste entworfenen Arbeiten nicht nur mit einer bezaubernden Feierlichkeit auszustatten. Er denkt auch gleichzeitig stets an das Diesseitige und an das Nützliche.

Abzulesen ist das an einer anderen Arbeit, die er für Kassel schuf. Als er Mitte der 90er-Jahre eingeladen wurde, innerhalb der Künstler-Nekropole im Habichtswald für sich selbst ein Grabmonument zu entwerfen, verfiel er auf den Gedanken, eine riesige kreisrunde Steinplatte mit einer leichten Vertiefung in der Mitte zu gestalten. Regnet es, sammelt sich auf der Platte Wasser – es entsteht durch den Lauf der Natur eine Vogeltränke. So erweist sich das Grabmonument als für die Vogelwelt nützlich. Für die Spaziergänger, die vorbei laufen, ist es ein schöner Anblick. Und der Künstler selbst gewinnt aus der Vorstellung, dass sich dereinst über seiner Asche die Vögel zur Tränke einfinden, ein tröstliches Gefühl.

HNA 6. 9. 2002

Schreibe einen Kommentar