Monumente im Park

Ein nebelverhangener Tag. In den höheren Regionen brechen für Minuten breit gefächert die Sonnenstrahlen durch. Die gewaltigen kahlen Buchen erscheinen wie Ungetüme in diesem Licht. Caspar David Friedrich läßt grüßen.

Ein Tag, um über ihn hinaus zu denken – ans Ende vielleicht, an den Tod. Nicht schwermütig, sondern klar und zuversichtlich. Der Tod wird kommen, also heißt es, nach einer letzten Ruhestätte Ausschau zu halten – so, als suchte man einen Bauplatz aus: Ja, hier wäre es schön, hier könnte es sein.

Dies ist keine Vision, sondern schlichte Beschreibung eines Erlebnisses am gestrigen Tag: Rune Mields, in Köln lebende Künstlerin (Jahrgang 1935), erwanderte sich am Rande Kassels, in einem früheren Steinbruchgebiet im Habichtswald (Blauer See), das Gelände, in dem sie ihr Todesmonument errichten will. Bereits vor sieben Jahren hatte der Kasseler Künstler Kunstprofessor Harry Kramer sie dazu angestiftet, darüber nachzudenken. Seit Jahren verfolgt Kramer nämlich das
Projekt einer Künstler-Nekropole, einer Totenstadt für Künstler. Einerseits will er dazu beitragen, den Tod und seine Zeichen ins Leben zurückzuholen, andererseits sieht er darin die Möglichkeit, der Kunst im öffentlichen Raum wieder eine sinnvolle Bestimmung zu geben.

Kramers „ Künstlerfriedhof“ erschien lange Zeit den Planern als utopische Vision. Die eingeladenen Künstler sahen das anders. Rune Mields etwa hatte sich von Friedhofsmonumenten schon immer faszinieren lassen, aber an die eigene Begräbnisstätte hatte sie noch nicht gedacht. Als aber 1982 Kramers Einladung sie erreichte, setzte sie sich hin, um Entwürfe zu entwickeln. 800 Zeichnungen entstanden in kurzer Zeit.

Sie alle gehen von der einen Idee aus, die Rune Mields seit Jahren in ihrer Arbeit erfolgt: Die Künstlerin entwickelt aus der unregelmäßigen Abfolge von teilbaren Zahlen und Primzahlen (die nur durch 1 und sich selbst teilbar sind) Strukturen für Bilder und Zeichnungen. Ihr Todesmonument will sie aus 97 Steinen (97 ist die letzte Primzahl unter 100) formen; die teilbaren Zahlen sollen durch weiße Marmorquader markiert werden, die Primzahlen durch schwarze Granitsteine. Die Steine (50x50x50 cm) sollen linear aneinandergefügt werden, nach jedem schwarzen Stein jedoch soll ein Knick im rechten Winkel folgen. In jeden der Primzahlsteine soll ein Buchstabe eingraviert werden, so daß sich im Ablauf das Seneca-Zitat aus Monteverdis „Poppäa“-Oper ergibt: „La vita corre come rivo fluente“ (Das Leben läuft wie ein fließender Fluß).

Die Überlegungen haben mittlerweile eine realistische Grundlage erlangt, denn Ende vorigen Jahres wurde die „Künstler-Nekropole-Stiftung“ mit einem Startkapital von 130 000 DM gegründet. Nun hofft Kramer, daß bis zur documenta 9 die ersten vier Monumente im Habichtswald, nicht weit von der Wilhelmshöhe entfernt, verwirklicht werden können. Jochen Gerz, Erwin Heerich und Franz Erhard Walther sollen in den nächsten Wochen zur Ortsbesichtigung nach Kassel kommen.

HNA 10. 2. 1989

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