Als die Notbremse gezogen wurde, war es zu spät. Die Kasseler documenta-GmbH hatte sich bereits blamiert. Nun ist haarklein dokumentiert, wie die große Ausstellungsgesellschaft versuchte, mit allen juristischen Mitteln die Herausgabe eines Kissens zu stoppen, das als weicher und inhaltsioser Katalog für die documenta 9 gefertigt worden war. Annemarie Burckhardt, die Schöpferin des umstrittenen Objekts, kann es immer noch nicht richtig fassen, daß eine so harmlos-witzige Idee soviel Staub aufwirbeln und ihr soviel Beifall einbringen würde. Aber auch die Außenstehenden wundern und amüsieren sich, wie empfindlich Satire treffen kann.
Unter dem Titel Der falsche documenta Katalog hat jetzt Mitverschwörer Martin
Schmitz eine von Annemarie Burckhardt zusammengestellte Dokumentation (64 Seiten, 15,80 DM) herausgegeben, in der alle privaten und juristischen Briefwechsel nachzulesen sind, aber auch das üppige, bis ins Ausland reichende Presse-Echo (darunter natürlich auch die Artikel unserer Zeitung).
Als nämlich die documenta GmbH ihre Kanonen auf die Kunstspatzen richtete, war ihr offensichtlich nicht bewußt, daß sie sich mit einem Gegner einließ, der das publizistische Klavier beherrscht. So war eben der Skandal perfekt, als man noch glaubte, die Sache unter den Teppich kehren zu können.
In seiner Galerie (Pferdemarkt 1A) präsentiert Martin Schmitz bis 10. Mai mit großem Erfolg die Dokumentation. Das Büchlein verkauft sich schnell und gut. Neben dem Buch zeigt er dort auch den umstrittenen Katalog sowie für die moderne Heimwerkergeneration einen Bastelset, das geübte Sticker(innen) ebenfalls zum gewünschten Objekt führen soll.
Das Versprechen, das Multiple nur in einer Auflage von 20 Stück herauszugeben, ist schon vergessen. Die Nachfrage ist zu groß. Zur Eröffnung plauderte Annemarie Burckhardt übrigens aus dem Nähkästchen: Sie zeigte Dias, die die wahre Handwerkskunst loben und eine lange Stick-Tradition belegen. Der falsche documenta Katalog ist nur das Glied in einer langen Kette und dabei nicht das letzte.
HNA 30. 4. 1991