Preis für ein Künstlerpaar

Zum ersten Mal wird der Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ in
diesem Jahr an zwei Persönlichkeiten vergeben – an das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude, das in New York lebt.

Die Skepsis war groß. Mehrfach hatte man den Eindruck, nun sei das Vorhaben endgültig gescheitert. Doch dann, nach dem Fall der Mauer und vor dem Umbau zum neuen Bundestag, bot sich die Chance. Nachdem der Bundestag in einer historischen Debatte noch in Bonn seine Zustimmung gegeben hatte, konnten Christo und Jeanne-Claude mit ihren insgesamt 1500 Helfern im Juni 1995 daran gehen, das heiß diskutierte Werk umzusetzen und das Berliner Reichstagsgebäude zu verhüllen.

Als dann die silbern glänzenden Planen ausgebreitet und festgezurrt waren, als in einer völlig neuen Weise die Konturen des wilhelminischen Baus hervortraten und das durch die Politik und Geschichte schwierig gewordene Gebäude entmystifiziert und zugleich mit einem neuen, einem künstlerischen Geheimnis versehen wurde, da wurden die kritischen Stimmen leiser und da wuchs die Begeisterung. Millionen ließen sich von dieser Riesenskulptur in den Bann ziehen. Einige Tausend verbrachten sogar die Sommernächte auf der Wiese vor dem vergänglichen Kunstwerk.

Immer wieder gelingt es Christo und Jeanne-Claude, irgendwo auf dieser Welt mit einer ihrer Verhüllungsaktionen für Tage und Wochen einen kurzlebigen Zauber zu entwickeln. Genau darin liegt auch einer der Gründe dafür, dass sich die Jury des Kasseler Bürgerpreises „Das Glas der Vernunft“ dafür entschied, in diesem Jahr dieses Künstlerpaar auszuzeichnen. Anerkannt wird dabei ebenfalls, dass beide die Aktionen, die über Jahre und manchmal Jahrzehnte vorbereitet und erkämpft werden, von ihnen selbst – außerhalb des Kunsthandels – finanziert werden. Die Finanzierung vollzieht sich weitgehend über den Verkauf von Modellen, Zeichnungen und Collagen, die Christo im Vorfeld der Aktionen anfertigt. Allein für das Reichstags-Projekt sind 420 Originalbilder entstanden.

Die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit gehörte auch zum Wesen des Projekts, das im documenta-Sommer 1968 wochenlang die Kasseler Öffentlichkeit beschäftigte. Es war die bislang spektakulärste Luftskulptur von Christo: Eine Trevira-Hülle wurde mit einem Helium-Luftgemisch zu einer 85 Meter langen und im Durchmesser zehn Meter großen Säule aufgeblasen. Nach drei vergeblichen Versuchen gelang am 3. August 1968 die Aufrichtung des von mächtigen Seilen gehaltenen „5600-Kubikmeter-Pakets“.

Die Schönheit war entwaffnend

Aus Anlass der Verleihung des Kasseler Bürgerpreises „ Das Glas der Vernunft“ an das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude führte Dirk Schwarze das folgende Telefon-Interview mit ihnen. Die unmittelbaren Antworten formulierte Jeanne-Claude für beide.

Frage: Der Kasseler Bürgerpreis, den Sie am 1. Oktober erhalten, ist kein Kunstpreis. Mit ihm sind vornehmlich Persönlichkeiten geehrt worden, die sich beispielhaft durch Akte der Toleranz, Versöhnung und des Wagemuts ausgezeichnet haben. Wird also auch eine politische Dimension Ihrer Arbeit gewürdigt?

Jeanne-Claude: Wir arbeiten nicht politisch. Auch die Kasse1er Preisträger Prof. Barnard und Menuhin haben nicht politisch gewirkt. Der Preis wird an Menschen vergeben, die sehr hart arbeiten.

Gilt die Aussage auch für die Verhüllung des Reichstages im Jahre 1995, durch die Sie in Deutschland außerhalb des Kunstbetriebes populär wurden?

Jeanne-Claude: Auch die Reichstags-Verhüllung war kein politisches Projekt. Wir hatten keine politischen Absichten. Die Politik steckt in dem Gebäude selbst, hat aber mit unserer Arbeit nichts zu tun. Uns geht es um die Erfüllung der selbstgestellten Aufgaben, um die Freude und die Schönheit.

Verstehen Sie Ihre Arbeit generell so?

Jeanne-Claude: Ja. Nehmen Sie unser Projekt „Surrounded Islands“ aus dem Jahre 1983, bei dem Inseln vor Miami mit pinkfarbenem Stoff umrandet wurden. Dabei gab es auch ökologische Aspekte. Doch die Ökologie ist Teil der Problematik in dieser Bucht und nicht Teil unserer Arbeit. Uns ging es um die Schönheit. Und die Schönheit des vollendeten Projekts war entwaffnend. Aber natürlich lassen unsere Arbeiten viele unterschiedliche Interpretationen zu.

Für viele Ihrer Aktionen mussten Sie lange und hartnäckig kämpfen. Allein um die Reichstags-Verhüllung mussten Sie 23 Jahre ringen…

Jeanne-Claude: Der Kampf um die Genehmigung ist Teil unseres Projekts – wie zur Geburt die vorausgegangene Schwangerschaft gehört. Aber der Kampf um die Genehmigung für die Reichstags-Verhüllung war nicht der längste: Aus dem Jahre 1966 stammte der Plan, Bäume zu verhüllen. Wir haben es zuerst in St. Louis versucht, dann in Paris. Aber erst 32 Jahre später ist es uns gelungen,
„Wrapped Trees“ in Riehen bei entwaffnend. Aber natürlich Basel zu realisieren.

Woran arbeiten Sie derzeit?

Jeanne-Claude: Wir sind mit zwei Projekten beschäftigt. Das eine, für das wir bisher keine Erlaubnis erhalten haben, verfolgen wir seit 1979: „The Gates“ (Tore mit Vorhängen) im New Yorker Central Park. Außerdem bemühen wir uns seit 1992 um eine Genehmigung für eine Überdachung des Arkansas River.

Am Ende konnten die meisten Projekte doch realisiert werden?

Jeanne-Claude: Nein. 17 große Vorhaben konnten wir umsetzen, 20 aber konnten nicht verwirklicht werden. In einem Fall haben wir auf die Verwirklichung verzichtet: Neun Jahre lang hatten wir für das Projekt Christopher Columbus in Lissabon vergeblich gekämpft. Als wir endlich die Erlaubnis erhielten, war es nicht mehr interessant für uns. Es war nicht mehr in unseren Herzen.

Die Preisverleihung bringt Sie in die Stadt zurück, in der eine Ihrer ersten großen spektakulären Aktionen stattfanden – das „5600-Kubikmeter-Paket“ zur documenta 1968. Die Aufrichtung der im Volksmund „Wurst“ genannten Arbeit beschäftigte über Wochen die Öffentlichkeit.

Jeanne-Claude: Als wir auf der Wiese der Karlsaue auf die beiden größten Kräne Europas warteten, kam ein altes Ehepaar vorbei und meinte: „Impotent“.

Was bedeutet der Kasseler Bürgerpreis für Sie?

Jeanne-Claude: Wir freuen uns sehr und fühlen uns hoch geehrt.

Zu den Personen

Das Schicksal musste sie zusammenführen: Christo (Javachef ) und Jeanne-Claude (de Guillebon) wurden am selben Tag, am 13. Juni 1935, geboren – er in Bulgarien, sie in Marokko Als 23-Jährige lernten sie sich in Paris kennen. 1960 wurde ihr gemeinsamer Sohn Cyril geboren.

Seit 1958 arbeitet Christo an verhüllten Objekten, seit 1961 verfolgt er die Idee, Gebäude und Landschaftsteile zu verhüllen. Die Zeichnungen und Collagen tragen auch seine Handschrift. Jeanne-Claude begleitete und unterstützte seine Aktionen von Anfang an. Doch bis in die 80er Jahre blieb sie als seine Mitarbeiterin weithin im Hintergrund. Das hat sich im letzten Jahrzehnt grundsätzlich geändert. Spätestens seit dem Reichstags-Projekt fühlt sich Jeanne-Claude als eigenständige und gleichberechtigte Künstlerin, die entsprechenden Anteil an der Realisierung hat.

HNA 2. 3. 2000

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