Auf den Spuren des Leidens

Fritz Cremer, in den 70er und 80er Jahren der Repräsentant der DDR-Bildhauerkunst, ist nach längerer Krankheit 86jährig gestorben.

Der Schlüssel zu Fritz Cremers Biographie liegt in seiner frühen Entscheidung für die kommunistische Bewegung. Er war 23, als er der KPD beitrat. Diese politische Festlegung ließ ihn später nie in die geistige Nähe der Nationalsozialisten rutschen, obwohl deren Kunstpolitik an seinen realistisch gestalteten Plastiken sehr wohl Gefallen fand. Wie sonst hätte es geschehen können, daß der 1940 zum Militärdienst einberufene Cremer 1942 den Rom-Preis erhielt und
1943 für ein halbes Jahr in der Villa Massimo in Rom weilen konnte?

Der Glaube an die kommunistische Bewegung war es auch, der den aus dem westfälischen Arnsberg stammenden Bildhauer, der 1946 eine Professur in Wien erhalten hatte, 1950 dazu brachte, sich für eine Übersiedlung in die damals junge DDR zu entscheiden. Für nahezu vier Jahrzehnte wurde der in Ostberlin ansässige Cremer eine Leitfigur für die plastisch arbeitenden Künstler der DDR. Er selbst war gedanklich bei Rodin in die Schule gegangen und hatte viel bei Barlach und Kollwitz gelernt.

Fritz Cremer, der gemeinsam mit Sitte, Tübke, Heisig und Mattheuer 1977 auch in der Kasseler documenta vertreten war, hatte nie zum Verfechter des Sozialistischen Realismus getaugt. Gleichwohl war auch er in den 50er Jahren der Versuchung erlegen, heroisch-verklärend
Skulpturen für den öffentlichen Raum zu schaffen. Seine „Aufbauhelferin‘ vor dem Roten Rathaus in Berlin ist das Relikt aus einer Zeit, in der die sozialistische Vision dem Bildhauer noch als erfüllbares Versprechen galt.

Doch nicht die heroische Form, sondern die expressive, von Trauer und Leiden kündende Geste sollte zu einem Merkmal seines Werkes werden. Mehrfach hat sich Cremer mit dem Kreuzigungsthema auseinandergesetzt, in dem das Leiden als Ausdruck von Opferbereitschaft zeitlos sichtbar wird. Schon in den 30er Jahren hatte sich Cremer den Sterbenden und Trauernden gewidmet. Nun, nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und nach den Erschütterungen durch das, was in den Konzentrationslagern geschah, schuf Cremer Mahnmale.

Zu einer seiner wichtigsten Arbeiten wurde die Figurengruppe, die er für die bei Weimar liegende KZ-Gedenkstätte Buchenwald schuf: Die vom Leiden Gezeichneten erheben sich zum Widerstand und Überleben. Kein heldisch verklärendes Denkmal zwar, aber auch kein Mahnmal, das außerhalb der DDR möglich geworden wäre. Trotz seiner Distanz zum System und trotz seiner immer wieder mit Erfolg behaupteten künstlerischen Freiheit blieb Fritz Cremer ein Staatskünst1er, der reich gefördert und viel geehrt wurde. Gerade an seinem für den öffentlichen Raum geschaffenen Werk wird offenbar, wie schwer es heute die traditionelle, realistisch gehaltene Plastik hat, zeitgemäße Lösungen zu finden.

Andererseits hat Cremer in seinen nicht so monumental angelegten Arbeiten auch wegweisende Beispiele für das Menschenbild des 20. Jahrhunderts gestaltet. Sein erst 1988 vollendetes Brecht-Denkmal vor dem Berliner Ensemble verklärt nichts: Der Dichter sitzt da als müder und nachdenklicher Mann auf einer Bank. Keine große künstlerische und schon gar keine politische, sondern eine ganz menschliche Antwort.

HNA 2. 9. 1993

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