Eine gemalte Lehrtafel

Lucas Cranach der Ältere (1472-1553) aus Cronach gilt als ein Hauptmeister deutscher Malerei nach Dürer. Zugleich war er der Künstler, der als Hofmaler Friedrichs des Weisen in Wittenberg
den Glaubenslehren der Reformation zu bildnerischer Kraft verhalf. Was Luther mit dem Wort und der Schrift vermochte, das wollte Cranach mit der Malerei bewirken.

Lucas Cranach betrieb die Malerei als eine Art industrieller Produktion. Wichtige und beliebte Motive verließen seine Werkstatt in mehrfacher Auflage. Doch es waren keineswegs immer nur Kopien nach einer Vorlage. Cranach und seine Mitarbeiter wiederholten nicht nur, sondern schufen auch vielerlei Variationen.

Eine Folge dieser Arbeitsweise ist, daß nicht immer eindeutig Cranachs eigenhändige Bilder von seinen Werkstatt-Arbeiten unterschieden werden können. Allerdings sind Cranach-Imitationen dann schnell zu entlarven, wenn sie sklavisch einer Vorlage folgen oder offensichtliche Ungeschicklichkeiten enthalten.

Auch von dem Gemälde „Sündenfall und Erlösung“ schufen Cranach und seine Werkstatt verschiedene Fassungen. Die möglicherweise ursprüngliche aus dem Jahre 1529 ist im Gothaer Schloßmuseum Friedenstein zu sehen. Eine andere hängt im Schloßmuseum in Weimar.

Es handelt sich bei dem Gothaer Bild um ein äußerst programmatisches Gemälde, um eine Lehrtafel. Der deutlichste Hinweis darauf sind die sechs Spalten am unteren Bildrand mit den Bibelzitaten, die das belegen sollen, was der Maler darstellen will.

Im ersten Moment meint man, eine doppelte Bildtafel vor sich zu haben, so streng teilt der Baumstamm in der Bildmitte die beiden Hälften. Es ist der Baum des Lebens, der die Welten des alten (links) und des neuen Glaubens (rechts) trennt. Im Zeichen des alten Glaubens gibt es nur Sündenfall, Gesetz und Gericht sowie Verdammnis. Eine Linie zieht sich von Adam und Eva zu Moses und den Propheten und zu Tod und Teufel, die den Menschen zur Hölle jagen. Über dieser Welt, in der der Baum des Lebens verdorrt ist, schwebt Christus als Weltenrichter.

Rechts hingegen ist Christus der Gnade verheißende Erlöser, der sich am Kreuz opfert und gen Himmel fährt; Johannes der Täufer führt den armen (nackten) Sünder heran und weist auf den Gekreuzigten. Wie unmittelbar der Kreuzestod den Sünder erlöst, deutet der Blutstrahl an, der (begleitet von der Taube des Heiligen Geistes) von Christus’ Brust auf den Sünder gerichtet ist. Hier ist das Leben, hier grünt der Baum und hier hat das Lamm über Tod und Teufel siegt.

Ein schwerblütig, mit Botschaften und Symbolen überladenes Bild, das allerdings durch die feine, wohl abgestimmte Farbgebung zu strahlendem Leben erweckt wird.

HNA 18. 4. 1993

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