Auf der Suche nach sich selbst

Die Frage nach der Identität ist eines der zentralen Themen der documenta. Der aus Mauretanien stammende Regisseur Abderrahmane Sissako (Jahrgang 1961) hat in der Auseinandersetzung mit dieser Frage eine Filmidee entwickelt, die er für die documenta X realisierte. Unter dem Titel „Rostov – Luanda“ schuf er einen Dokumentarspielfilm, der von der Suche nach seinem Freund Bari-Banga erzählt, den er im sowjetischen Rostov kennenlernte. Bari-Banga war ein revolutionärer Kämpfer aus Angola; nun, 16 Jahre später, will Sissako ihn aufspüren.

Mit etwas Verspätung erlebte jetzt Sissakos Film im documenta-Filmprogramm seine
Uraufführung. Für den Film selbst spielt es keine Rolle, ob Bari-Banga in den Bürgerkriegswirren verschollen ist oder in Berlin wohnt. Sissako, der in Moskau studierte und nun in Paris lebt, benutzt die Suche, um sich seiner eigenen Herkunft wiederzubesinnen und um herauszufinden, wie die Menschen in Angola mit den Folgen des jahrzehntelangen Krieges umgehen.

Der Film verzichtet auf eine Handlung. Er besteht er aus einer Folge aneinandergereihter Sequenzen, die Kamerafahrten durch Städte und Landschaften wiedergeben und Personen zeigen, die erzählen. Lediglich das Motiv der Suche bindet sie zusammen – nämlich Sissakos Reise und das immer wieder vorgezeigte Gruppenfoto, das ermöglichen soll, Bari-Banga zu identifizieren. Diese innere Verknüpfung der einzelnen Teile ist so stark, daß daraus eine Geschichte wird.

Geschichten erzählen auch die Menschen, die befragt werden – von sich und ihrer Kraft, von ihren Erfahrungen und Leiden, von ihren Hoffnungen und Grundsätzen. Jedes Mal, wenn da einer erzählt, entsteht durch die intensive Kamerastudie eine unmittelbare Beziehung zur Person. Dazwischen dann die Bilder von den dunstverhangenen Städten, von den Alltäglichkeiten und von durchsiebten Hauswänden.

Es ist ein Film, der vom Reisen erzählt, von der Heimkehr zu den Wurzeln. Fast rituell wird Sissako zu Hause aufgenommen und für seine Expedition gerüstet. Von wie weither er gekommen ist, deuten zwei Sequenzen an, die Erinnerungen an Eisenbahnfahrten durch Schneelandschaften zeigen, die zwischen den Bildern aus Afrika zu sehen sind.

Unmerklich entfaltet der Film eine stille Poesie. Und die eindringlichn Kurzporträts der Angolaner spiegeln nicht nur bittere Erfahrungen, sondern auch menschliche Weisheit. So ist dieser ruhige Film (der nur am Ende etwas hastig wird) politisch aufklärerisch, aber auch menschlich-heiter.

HNA 17. 7. 1997

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