Wenn Bilder von Bildern erzählen

Einen der herausragenden Räume der documenta X hat der 75jährige Richard Hamilton geschaffen. Ihm wurde jetzt, wie gemeldet, der Kasseler Arnold Bode-Preis zuerkannt.

Die documenta ist keine Kunstleistungsschau. Daher vergibt sie auch nicht wie die Biennale von Venedig Auszeichnungen. Der Kasseler Arnold Bode-Preis, der an den documenta-Begründer erinnert, ist allerdings indirekt zu einem documenta-Preis geworden; seit der zweiten Vergabe im Jahre 1981 sind nämlich ausschließlich documenta-Künstier mit ihm bedacht worden. Aber so unmittelbar auf einen einzelnen documenta-Beitrag bezogen – wie jetzt bei der Entscheidung für den Engländer Richard Hamilton – war noch keine Preisvergabe.

Die Jury zeichnet damit eine der besten, frischesten und aufregendsten Arbeiten dieser documenta aus. Sie ehrt einen Künstler, der vor 40 Jahren die Pop-art mit auf den Weg brachte und der heute im Wechselspiel von Malerei, Fotografie und Computerkunst wiederum als ein Pionier einzustufen ist. Er gehört demnach zu den ganz jungen Künstlern.

Hamiltons Kasseler Arbeit „Seven Rooms“ (Sieben Räume) gibt möglicherweise auch eine Antwort auf die Frage, warum die Malerei auf der documenta so beiläufig vertreten ist: sie ist in den Schatten von Fotografie und Computer-Bearbeitung getreten. Der Raum von Richard Hamilton im Museum Fridericianum ist die Nachbildung der Londoner Galerie d‘Offay – einschließlich der Deckenbalken und Beleuchtungsschienen.

Hamilton hatte die leeren Wände dieses Galerieraumes fotografiert. Diese Schwarzweißaufnahmen wurden am Computer bearbeitet. In die Fotos bezog er nun Aufnahmen von seiner eigenen Wohnung ein, wobei er sie so platzierte, daß sie wie Bilder wirken, die an einer Wand angebracht sind. Die Montagen aus Ansichten eines öffentlichen und eines privaten Raumes übertrug er auf Leinwände und bearbeitete einige Flächenteile mit Ölfarben.

So entstanden Bilder, die von Bildern erzählen: Sie zeigen den Raum, in dem sie hängen; sie täuschen jedoch eine Ausstellung vor, die es in der Wirklichkeit nie gab; sie knüpfen an das klassische Tafelbild an, lassen die Malerei aber nur noch wie eine Retuschetechnik erscheinen; sie reflektieren Hamiltons eigenes Werk, denn in den Wohnansichten tauchen auch ältere Arbeiten von ihm auf; und sie dokumentieren, wie aus der Kombination der unterschiedlichsten Medien Bildanalyse und -vollendung zugleich entstehen können.

Doch damit nicht genug: Hamilton bettete diesen Galerieraum in einen größeren Saal ein, den er zusammen mit dem Künstler Ecke Bonk gestaltete. Bonk setzt sich mit dem Verhältnis von Schrift, Text und Bild auseinander und versucht darüber hinaus, in der von ihm begründeten „typosophic society“ Wissenschaft und Kunst im Hinblick auf die Schrift in eine Wechselbeziehung zu bringen. In diesem Saal sind von der alten Druckschrift und Grafik bis hin zur Computer- und Videodarstellung nahezu alle Formen der Informationsübermittlung und Bildgestaltung zu erleben. Den Höhepunkt schafft der eine Großspiegel, der Hamiltons vielschichtige Leinwand nochmals in eine andere Bildform überträgt.

HNA 16. 7. 1997

Schreibe einen Kommentar